Wenn Völkermord verjährt

19 Jahre ist das Massaker von Srebrenica her. Einige Täter könnten bald straffrei ausgehen

Über 8000 ermordete Männer und Buben, Vergewaltigungen, Deportationen: Das Massaker von Srebrenica gilt als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Juli 2015 jährt es sich zum 20. Mal. Und dann, sagt der Historiker Winfried Garscha, könnten sich nach heutigem Recht viele der Täter in Österreich „hinstellen und sagen: ‚Ich habe in Srebrenica eigenhändig 25 Menschen umgebracht‘ – und ihnen würde nichts passieren“.

Viele Täter, sagt Garscha, seien Jugendliche oder junge Männer gewesen; einige seien wohl später in Österreich gelandet. Ihnen könnte bald eine kleine Ungenauigkeit im österreichischen Strafgesetzbuch zugute kommen.

Es gibt nach österreichischem Recht eine Reihe von Straftaten, die nie verjähren – all jene nämlich, die mit lebenslanger Haft bestraft werden können, wie Mord und Völkermord. Es gibt nach österreichischem Recht aber auch eine spezielle Regelung für Jugendliche: Wer zum Tatzeitpunkt noch nicht 21 war, kann niemals lebenslänglich bekommen. In Kombination bedeuten diese beiden Regeln, dass bei jugendlichen Tätern sogar Völkermord verjährt – und zwar nach 20 Jahren, im Fall von Srebrenica also 2015.

Winfried Garscha hat als wissenschaftlicher Leiter der Zentralen österreichischen Forschungsstelle Nachkriegsjustiz Erfahrung mit dieser Rechtslage: Wegen ihr wurde in Österreich – im Gegensatz zu Deutschland, wo laut Strafgesetzbuch „Mord nicht verjährt“ – seit Jahrzehnten kein NS-Kriegsverbrecher mehr verurteilt.

In Niederösterreich etwa lebt ein Mann, der 1944 an einem Massaker im französischen Dorf Oradour beteiligt gewesen sein soll. SS-Männer haben dort 650 Menschen erschossen. In Deutschland soll bald das Verfahren gegen einen der noch lebenden Täter beginnen. Die Staatsanwaltschaft Korneuburg aber musste ihre Ermittlungen gegen den Niederösterreicher einstellen, obwohl seine Einheit direkt am Massaker beteiligt war und obwohl er in einem Verzeichnis der Kompanie als MG-Schütze auftaucht: Der Mann war zur Zeit des Massakers noch nicht 21 Jahre alt.

Für Prozesse in Bezug auf Srebrenica seien die österreichischen Gerichte zwar nicht zuständig, die österreichische Rechtslage sei aber trotzdem relevant, sagt der Strafrechtsprofessor Frank Höpfel: Ist die Tat nach hiesigem Recht verjährt, könne Österreich einen Verdächtigen nämlich auch nicht an ein anderes Land ausliefern.

Höpfel, von 2005 bis 2008 Richter am Strafgerichtshof für Jugoslawien in Den Haag, ist trotzdem gegen eine Gesetzesänderung: Bei jemandem, der „als Jugendlicher in diese unglaublichen Sachen hineingezogen wurde und nun in unserer Gesellschaft integriert ist“, sieht er den Sinn der Bestrafung nicht. „Denen hat man ja damals schon das Leben ruiniert.“

Im Justizministerium stößt die Forderung nach einer Gesetzesänderung, die Garscha seit 2011 erhebt, auf offenere Ohren: Sie sei eines der Themen der Reformgruppe StGB 2015, die derzeit ein neues Strafgesetz erarbeitet, sagt der zuständige Abteilungsleiter Christian Manquet. Die Reform soll mit 1. Jänner 2015 in Kraft treten, doch selbst Manquet gesteht ein, dass das ein optimistischer Zeitplan ist. Garscha drängt daher zur Eile: „Die parlamentarischen Abläufe dauern, und 2015 ist nicht weit weg.“

Falter, 16.4.2014

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