Ausgebremst und abgesagt

In der Corona-Krise werden in einigen Branchen die Lehrstellen knapp. Das trifft besonders jene Jugendlichen, die es ohnehin schon schwer haben

Es wäre das erste Bewerbungsgespräch seines Lebens gewesen. Ein Termin um acht Uhr früh an einem sonnigen Tag im März, bei einem Großhandelsunternehmen in Berlin. Niko Kamitz saß schon im Bus, da klingelte sein Telefon, die Frau aus der Personalabteilung: Es tue ihr leid, sie dürfe ihn wegen der Covid-19-Pandemie nicht treffen. Kamitz stieg an der nächsten Haltestelle aus und fuhr wieder nach Hause, erzählt er.

Jedes Jahr im Frühling ist in Deutschland Bewerbungszeit. Hunderttausende Jugendliche verschicken dann ihre Zeugnisse und Lebensläufe, um im Herbst eine Ausbildung zu beginnen. Doch im laufenden Jahr hat die Corona-Pandemie den Prozess unterbrochen. Bewerbungsgespräche wurden abgesagt, und Firmen zögern, in der Krise Auszubildende einzustellen. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 4. Juni 2020

„Armut macht mürbe“

Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig in Hamburg. Das bleibt ein abstrakter Satz, bis man mit Hans Berling spricht, der seit fast 30 Jahren mit benachteiligten Kindern und Jugendlichen in Jenfeld arbeitet.

Eines von fünf Kindern in Hamburg lebt von Hartz IV. In Jenfeld sind es doppelt so viele. Hans Berling kennt viele von ihnen. Er ist seit 23 Jahren Geschäftsführer der Jenfelder Kaffeekanne, eines Nachbarschaftszentrums mit Schwerpunkt auf Kinder- und Jugendarbeit.

DIE ZEIT: Herr Berling, was haben Sie von den Kindern, die Sie in den letzten 30 Jahren betreut haben, über Armut gelernt?

Hans Berling: Für die Kinder und Jugendlichen ist Armut kein großes Thema. Die Kinder bei uns im Haus kommen zu 90 Prozent aus Familien, die Hartz IV beziehen oder ergänzende Leistungen, weil die Eltern zu wenig verdienen. Aber die Kinder haben nicht das Gefühl: Wir sind benachteiligt, wir haben kein Geld, wir sind arm. Arm sind für sie vielleicht Kinder in afrikanischen Ländern, wenn das gerade im Fernsehen kam. Mit Fragen nach ihrer Armut können sie nichts anfangen. Weil sie gar keinen Vergleich haben. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 18. Oktober 2018

Reicht nicht mehr

Ursula Fligge hat gearbeitet und privat vorgesorgt. Jetzt ist sie Rentnerin und weiß nicht, wie lange sie ihre Miete noch zahlen kann.

Eigentlich hat sie alles richtig gemacht. Sie hat alles getan, was man Menschen rät, damit sie nicht in Armut abrutschen. Hat eine Ausbildung gemacht, danach noch studiert. Hat die letzten 49 Jahre fast durchgehend gearbeitet, auch während des Studiums, auch als ihre Tochter noch klein war. Hat in eine private Rentenversicherung eingezahlt, selbst in Jahren, in denen es knapp war. Hat Geld gespart. Jetzt ist sie 66, seit Kurzem in Rente, und weiß nicht, wie sie in zwei, in drei, in fünf Jahren noch ihre Wohnung bezahlen soll.

Die Wohnung, in der sie ihr halbes Leben verbracht hat, hochschwanger ist sie im Sommer 1984 eingezogen. Auf dem Schreibtisch liegt ein grauer Ordner, den sie vor Kurzem für den Termin bei der Mieterberatung zusammengestellt hat, darin ein Brief: Nettokaltmiete bisher 594 Euro, Nettokaltmiete in Zukunft 654 Euro. Warm soll sie bald 815 Euro zahlen, dazu noch Wasser und Strom. Der Rat des Mietervereins? Mal die Hausverwaltung fragen, ob man die Summe nicht ein bisschen reduzieren könne, auf die vielen Wasserschäden hinweisen. Mehr lässt sich nicht tun, denn die Mieterhöhung ist im gesetzlich erlaubten Rahmen geblieben: 15 Prozent in drei Jahren. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 22. März 2018

587 Euro für ein halbes Zimmer

Seit dem 1. Januar kosten städtische Unterkünfte für Flüchtlinge das Vierfache. Wie kann das sein?

Es war kurz nach Weihnachten, als Familie A. in ihrem Briefkasten ein Infoblatt fand. 587 Euro pro Person pro Monat, stand darauf, werde ihre Unterkunft ab 1. Januar 2018 kosten. Macht insgesamt 4.109 Euro für die siebenköpfige Familie. Dabei bewohnt Familie A. keine Luxusvilla, im Gegenteil: Sie lebt in einem 70-Quadratmeter-Containermodul mit Möbeln vom Flohmarkt, ohne Internet, ohne Handyempfang. So schildert es die Flüchtlingshelferin Kerstin Heuer, die die Familie betreut.

Der Absender des Infoblatts, das Familie A. und fast 30.000 andere Menschen in Hamburg rund um Weihnachten in ihren Briefkästen fanden, war kein skrupelloser Miethai, sondern das städtische Unternehmen Fördern und Wohnen. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 11. Januar 2018

Der Goethehof von außen

Warum die Wiener so günstig wohnen können

Großstädte kämpfen mit steigenden Mieten. In Wien gibt es noch bezahlbare Wohnungen. Dank eines Konzepts, das vor 90 Jahren entstand, gehört heute ein Viertel aller Wohnungen der Stadt. Klingt gut – hat aber auch Nachteile

Der Goethehof ist ein Paradies. Zumindest muss er von hohen Mieten geplagten Münchnern, Hamburgern oder Londonern so vorkommen: 400 Euro pro Monat zahlt man in dieser Wohnanlage für eine 50-Quadratmeter-Wohnung, sieben U-Bahn-Minuten vom Wiener Stadtzentrum entfernt. Grünflächen, ein Spielplatz und Badesee gleich hinter dem Haus mit inklusive.

In München, Hamburg und Berlin steigen die Mietpreise kräftig, ebenso in anderen Großstädten. Auch in Wien – und dennoch kann man hier trotz einer rasant wachsenden Bevölkerung auch heute noch eine gut gelegene Wohnung für unter zehn Euro pro Quadratmeter finden. „Wien gilt international als Beispiel für einen funktionierenden Markt für günstigen Wohnraum“, sagt der Ökonom Claus Michelsen vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW). Das hat die Stadt ihrer 90 Jahre alten Politik des sozialen Wohnbaus zu verdanken, die unter anderem den Goethehof hervorgebracht hat.

An einem Mittwochmorgen im Herbst strömt an der U-Bahn-Station Kaisermühlen eine Schar von Anzugmännern und Kostümfrauen zum Ausgang und nebenan die Treppen hoch. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 12.11.2016