Schwarz-weiß-Foto, ein Junge steht vor einem Doppelhaus, im Vordergrund sind statt einer Straße nur Erde und Geröll zu sehen

Eine Siedlung für das Fräulein Piroska

Vor 65 Jahren begann der Ungarnaufstand und mit ihm die Massenflucht nach Österreich. Wie ging das Land damals mit den Migranten um? Ein Besuch in der Ungarnsiedlung in Floridsdorf

Die Menschen kommen in Scharen über die Grenze ins Burgenland, die meisten zu Fuß und mit wenig Gepäck. Sie werden vom Bundesheer und von Hilfsorganisationen mit warmem Essen versorgt, viele Österreicherinnen und Österreicher spenden Geld und Spielzeug, helfen später bei der Job- und Wohnungssuche.

Es ist nicht das Jahr 2015, sondern 1956, und die Flüchtlinge kommen aus Ungarn, wo gerade sowjetische Panzer die Hoffnung auf Veränderung niedergewalzt haben. Am 23. Oktober ist es 65 Jahre her, dass in Ungarn der Aufstand gegen den Sowjetkommunismus ausbrach; nur zwölf Tage darauf wurde er niedergeschlagen. 180.000 Ungarn und Ungarinnen überquerten in den folgenden zwei Monaten die Grenze zu Österreich. Die freundliche Aufnahme der Flüchtlinge im Winter 1956 prägte Österreichs Bild von sich selbst. Bis heute rühmt sich das Land der Hilfsbereitschaft von damals. Wie restriktiv die Asylpolitik in den folgenden Jahrzehnten auch wurde, der Winter 1956 dient als Schutzschild gegen den Vorwurf der Flüchtlingsfeindlichkeit. Aber stimmt diese Erzählung überhaupt?

Wer wissen will, wie es den Ungarnflüchtlingen nach ihrer Ankunft ergangen ist, der findet Antworten in einem kleinen Wohnviertel in Floridsdorf, am Stadtrand von Wien. Hier steht die sogenannte Ungarnsiedlung, 1958 erbaut, Doppelhäuser und Bungalows für 62 Flüchtlingsfamilien. Weiterlesen auf Zeit Online, Feature für die Ö1-Sendereihe Dimensionen

Die Zeit, 21. Oktober 2021
Ö1, 3. Januar 2022

Das Land der Befreiten

In abgelegenen Regionen Brasiliens kämpfen die Quilombolas, die Nachfahren entflohener Sklaven, um ihre Rechte.

17 Minuten hinter Teresina biegt der Jeep auf eine rötliche Schotterpiste ab. Bäume und Büsche säumen den Weg, ab und zu ein einzelnes Ziegelhäuschen, wir überqueren einen Bergpass, fahren mal auf festem Sand 50 Stundenkilometer, rumpeln dann wieder im Schritttempo über Geröll. Nach gut anderthalb Stunden hält der Jeep vor einem Lehmhaus mit Palmwedeldach, dahinter blüht leuchtend pink eine Bougainvillée, ein dünner alter Mann erscheint im Türrahmen: ›Wer ist da?‹

Wir befinden uns im zentralen Hochland von Brasilien, 340 Kilometer nördlich der Hauptstadt Brasília, 1.500 Kilometer nordwestlich von Rio de Janeiro, im Vão de Almas, einer der 39 Gemeinden des Quilombo Kalunga.

Ein Quilombo: Den Begriff kannte ich schon vor meiner Zeit in Brasilien. Ich hatte mich mit der afrobrasilianischen Kultur beschäftigt und wusste von den Siedlungen, die entflohene Sklaven und Sklavinnen im 16., 17., 18. Jahrhundert im schwer zugänglichen Hinterland gegründet hatten. Aber erst kurz bevor ich für drei Monate nach Brasilien zog, erfuhr ich, dass viele dieser Siedlungen bis heute existieren; dass dort die Nachfahren jener Menschen, die die Sklavenhändler aus verschiedenen Ländern Afrikas nach Brasilien verschleppt hatten, ihre eigene Kultur, ihre eigene Identität ausgebildet haben; dass die brasilianische Verfassung ihnen seit 1988 ein Recht auf kollektive Landtitel zugesteht, es bisher aber nur rund 200 der etwa 3.500 anerkannten Quilombos geschafft haben, sich einen solchen Landtitel zu erstreiten. Und ich sah ein Video, in dem der heutige Präsident Jair Bolsonaro 2017, im Vorwahlkampf, über die Bewohner der Quilombos spricht: ›Die Quilombolas machen gar nichts, sie taugen nicht einmal mehr zur Fortpflanzung‹, erklärt er unter dem Gelächter seines Publikums, ›der leichteste von ihnen wiegt sieben Arrobas‹. Sieben Arrobas, das entspricht ungefähr 105 Kilo – aber die Maßeinheit Arroba wird üblicherweise nur für Rinder und Schweine verwendet.

Ich will wissen, wie das Leben in einem Quilombo heute aussieht. Mitte 2019 fahre ich in den Quilombo Kalunga. Weiterlesen auf datum.at

Datum, Mai 2020

Gute Nachrichten zu Pavillon 15

Im Mai 2013 habe ich im Falter die bis in die 1980er Jahre andauernde Misshandlung und Vernachlässigung von behinderten Kindern im Pavillon 15 des Wiener Krankenhauses am Steinhof (des heutigen Otto-Wagner-Spitals) publik gemacht. Nach viel Verzögern und Verharmlosen und einem fragwürdigen internen Bericht gab Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ)  eine echte Aufarbeitung in Auftrag, im März 2017 wurde das Ergebnis präsentiert: Eine ausführliche Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie, die die Vorwürfe bestätigte. Jetzt, gut fünf Jahre nach dem ersten Text, sollen die Betroffenen finanzielle Entschädigungen bekommen.

Alle Texte zum Pavillon 15 gibt es hier nachzulesen.

Die Zeit heilt nicht alles

Seit 18 Jahren ist der Nordirlandkonflikt vorbei. Offiziell. Tatsächlich haben Protestanten und Katholiken nie wirklich Frieden geschlossen. Und der Brexit droht alles wieder schlimmer zu machen.

Wenn das hier eine normale Stadt wäre, dann würden sich Simon Rea und Ann Lynch gut kennen. Dann würden sie einander über den Zaun hinweg grüßen, wenn sie gleichzeitig in ihren Gärten sind, sie würden einander mit Mehl oder Milch aushelfen, und wahrscheinlich würde Ann Lynch ihren Nachbarn in jedem zweiten Satz «Love» nennen, wie Frauen das hier eben so tun.

Aber das hier ist Belfast, Simon Rea ist Protestant, und Ann Lynch ist Katholikin. Deshalb kennen sie sich nicht, und auch wenn sie wollten, könnten sie einander nicht über den Zaun hinweg grüßen. Denn der Zaun, der ihre Gärten trennt, ist neun Meter hoch, sechs Meter grünes Wellblech, darüber drei Meter Metallgitter.

Auf 750 Metern Länge trennt er die Häuser in der Alliance Avenue im katholischen Viertel Ardoyne von denen im protestantischen Glenbryn. Die einzige Quergasse, die beide Seiten einmal verband, endet heute abrupt am grünen Wellblech.

Seit achtzehn Jahren ist der Nordirlandkonflikt offiziell zu Ende. Aber bis heute leben Katholiken und Protestanten fast völlig voneinander getrennt. Sie wohnen in unterschiedlichen Vierteln, ihre Kinder lernen in unterschiedlichen Schulen, und Dutzende von Mauern und Zäune zerhacken Belfast.

«Peace Walls», Friedensmauern, heißen sie. Die Regierung würde gern alle Mauern bis 2023 abreißen. Die Bewohner der betroffenen Viertel wollen sie behalten. Weiterlesen auf nzz.ch

NZZ am Sonntag, 19.2.2017

 

Der letzte Zeuge

In Österreich kennt ihn jedes Schulkind. Auch wegen seines schwarzen Humors. Marko Feingold ist 103 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt. Nun kämpft er gegen Antisemitismus – und ist selbst nicht frei von Vorurteilen.

 

Als Marko Feingold 100 Jahre alt wurde, hat er sich vorgenommen, nur noch einmal am Tag öffentlich aufzutreten. Zu viele Vorträge, zu viele Interviews. Mittags wird er dann oft müde. Aber manchmal hilft es nichts. Die Zeiten sind gerade nicht danach, dass einer wie er ruhen könnte.

Und so steht er an einem eisigen Morgen Anfang Dezember am Milchglasfenster der Salzburger Synagoge und schaut abwechselnd nach draußen in den Vorgarten und auf die von einem Davidstern umrandete Uhr an der Wand. Die Uhr zeigt 9.32 Uhr. Die Schulklasse sollte jetzt da sein, ist sie nicht. In einer Stunde muss Feingold aber schon zum Zug, nach Wien zur Sitzung des antifaschistischen Vereins, in dessen Vorstand er sitzt. Wer sich die Weltlage anschaut, ahnt, dass es viel zu besprechen gibt. Weiterlesen bei Blendle

Der Tagesspiegel, 18.12.2016