Die Männinnen

Eine jahrhundertealte Tradition erlaubt es albanischen Frauen, sich für ein Leben als Mann zu entscheiden. Mit allen Rechten und Pflichten, mit vielen Freiheiten – aber ohne Liebe.

Die Bäume an den Berghängen um das Dorf Xhuxhë leuchteten rot und golden, als Nushe Vorfi ihrer Cousine eine Schere in die Hand drückte. Die zögerte, weigerte sich: Vorfis Haare waren so schön, so lang, sie reichten der jungen Frau bis zu den Ellenbogen. Doch dann gab die Cousine nach. Eine erste braune Strähne fiel auf die Terrasse vor dem Haus, dann noch eine und noch eine. Als auf dem Kopf nur noch wenige Zentimeter übrig waren, trug Vorfi ihre, nein, seine abgeschnittenen Haare auf ein nahes Feld und verbrannte sie. Die Cousine hatte Vorfi an diesem Nachmittag zum Mann gemacht.

Nush Vorfi ist klein, 1,60 Meter vielleicht. Das karierte Kurzarmhemd flattert um einen flachen Oberkörper, darunter leicht taillierte Jeans mit künstlich abgewetzten Stellen, die Füße in schwarzen Plastikschlappen. Ein kantiges, sonnengebräuntes Gesicht, kurze Haare und breite Schultern. Dazu kräftige Hände, die Fingernägel sind sehr weit zurückgeschnitten. Vorfi ist 38, aber er wirkt mindestens zehn Jahre älter, sein faltiger, zerfurchter Hals könnte einem 90-Jährigen gehören. Vorfi spricht nur ungern über seine Gefühle, ein albanischer Mann tut das nicht. Aber was er in dem Moment empfunden hatte, in dem seine Haare fielen, auf der Terrasse an einem Herbstnachmittag des Jahres 1994, das weiß er heute noch: Erleichterung. Und Befreiung. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 27.1.2018

„Wien ist ja sehr beliebt bei vielen Oligarchen“

Der Politologe Anton Shekhovtsov über die Querverbindungen zwischen dem Kreml, der Eurasienbewegung und der FPÖ

Die FPÖ-Politiker Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus, der Chef der rechtsextremen bulgarischen Partei Ataka, Wolen Siderow, die Front-National-Abgeordneten Marion Maréchal-Le Pen und Aymeric Chauprade sowie Alexander Dugin, der Führer der rechten russischen Eurasischen Bewegung, die eine Art großrussisches Reich fordert: Sie alle trafen sich  am Samstag vor einer Woche bei einer geheimen Versammlung in Wien, wie die Schweizer Zeitung Tagesanzeiger herausfand. Der Rechtsextremismusforscher Anton Shekhovtsov erklärt die Hintergründe. Weiterlesen »

Manche Verbrechen dürfen nicht ungestraft bleiben – Kommentar

Ein junger Mensch, der eine Dummheit begangen hat, sollte nicht so hart bestraft werden wie ein Erwachsener – ganz egal, wie groß, wie monströs gar seine Dummheit war. Wer zur Tatzeit unter 21 war, kommt nach österreichischem Recht daher weniger leicht als ein Erwachsener ins Gefängnis (das Menschen oft krimineller macht) und kann nicht zu lebenslang verurteilt werden.

Letztere Regelung, so sinnvoll sie ist, führt allerdings zusammen mit einer bestimmten Formulierung im Verjährungsparagrafen dazu, dass junge Täter in Österreich selbst im Falle von Völkermord straffrei davonkommen können. Bisher kam das vor allem bei NS-Kriegsverbrechern zu tragen, in naher Zukunft wird es etwa auch die Vergewaltiger und Mörder von Srebrenica betreffen. Die Jüngeren unter ihnen können, wenn die Gesetzeslage nicht bald geändert wird, ab Juli 2015 von Österreich weder angeklagt noch an bosnische Gerichte ausgeliefert werden.Weiterlesen »

Wenn Völkermord verjährt

19 Jahre ist das Massaker von Srebrenica her. Einige Täter könnten bald straffrei ausgehen

Über 8000 ermordete Männer und Buben, Vergewaltigungen, Deportationen: Das Massaker von Srebrenica gilt als schwerstes Kriegsverbrechen in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Juli 2015 jährt es sich zum 20. Mal. Und dann, sagt der Historiker Winfried Garscha, könnten sich nach heutigem Recht viele der Täter in Österreich „hinstellen und sagen: ‚Ich habe in Srebrenica eigenhändig 25 Menschen umgebracht‘ – und ihnen würde nichts passieren“.

Viele Täter, sagt Garscha, seien Jugendliche oder junge Männer gewesen; einige seien wohl später in Österreich gelandet. Ihnen könnte bald eine kleine Ungenauigkeit im österreichischen Strafgesetzbuch zugute kommen.Weiterlesen »

König Viktor

Obwohl ihr Land miserabel dasteht, werden die Ungarn Viktor Orbán am 6. April erneut zu ihrem Premierminister wählen. Warum? Eine Reise durch das Fidesz-Land

Reportage: Ruth Eisenreich, Elisabeth Gamperl

Der glatzköpfige Mann im grauen Langarmshirt könnte immer noch weinen, wenn er an jenen Samstagnachmittag im April 2002 zurückdenkt. Gemeinsam mit seinem Vater stand János Vigh damals auf dem Kossuth-Platz hinter dem ungarischen Parlament in Budapest. Um sie herum, so erzählt er es heute, wehten ungarische Flaggen, der junge Ministerpräsident Viktor Orbán hielt eine Rede, und hunderttausende Menschen mit rot-weiß-grünen Anstecknadeln, verbunden durch ihre Liebe zur Regierungspartei Fidesz, sangen mit Tränen in den Augen die Nationalhymne. „Das war ein erhebendes Gefühl“, sagt Vigh.

Knapp zwölf Jahre später ist es ruhig auf dem Kossuth-Platz. Wie damals steckt Ungarn mitten im Wahlkampf. In den Medien spürt man das, doch im Stadtbild kaum. Auf dem hölzernen Plakatständer hinter dem Parlament steht in schwarzer Schrift: „Nur für den Wahlkampf“. Das ist zu lesen, weil kein einziges Plakat auf dem Ständer klebt. Weiterlesen »