„Versuch’s doch mal mit Yoga“

Willensschwach, faul, gewalttätig: Depressive haben immer noch mit vielen Vorurteilen zu kämpfen. Über das Stigma einer Volkskrankheit.

Wenn ein Psychiater einem Patienten in der Oper begegnet, im Supermarkt oder auf der Straße, dann kann es sein, dass er ihm kurz in die Augen sieht, den Blick abwendet und weitergeht, als wäre nichts. Die Ärzte machen das nicht, weil sie unfreundliche Menschen wären. Sie machen das, weil sie ihre Patienten nicht in die Verlegenheit bringen wollen, anwesenden Freunden erklären zu müssen, woher man sich kennt.

Psychische Erkrankungen und vor allem Depressionen seien längst als ganz normale Krankheiten akzeptiert, heißt es oft. Studien zufolge erkrankt jeder fünfte Mensch einmal im Leben an einer Depression; jeder zehnte bis zwanzigste Deutsche hatte vergangenes Jahr damit zu kämpfen. Und tatsächlich ist das Stigma, das sie begleitet, geringer geworden. Dazu haben neben Kampagnen auf tragische Weise die Suizide des Fußballers Robert Enke und des Schauspielers Robin Williams beigetragen. Sie haben gezeigt, dass Depressionen nicht das Problem irgendwelcher Spinner sind, sondern jeden treffen können. Egal, wie talentiert oder beliebt er ist.

Aber eine Krankheit wie jede andere? Es gibt eine merkwürdige Kluft beim Umgang mit dem Begriff Depression. „Ich bin heute so depressiv“, sagen viele Menschen ganz locker daher. Und meinen: Ich bin niedergeschlagen, müde, antriebslos. „Da wird man ja depressiv“, sagen sie, wenn sie sich über die triste Weltlage unterhalten oder auch nur über einen düsteren Film. Zugleich geht jenen, die tatsächlich Depressionen haben, das Wort oft schwer über die Lippen. Sie wählen Umschreibungen, Verniedlichungen, sie sagen „Mir geht es grad nicht so gut“ oder „Ich hatte gestern einen kleinen Zusammenbruch.“ Wenn sie meinen: Ich habe eine depressive Episode.  Weiterlesen auf sueddeutsche.de (€)

Süddeutsche Zeitung, 20.8.2016

Jung und hart

Österreichs junger Außenminister Sebastian Kurz hat sich mit Äußerungen über die Türkei viel Aufmerksamkeit verschafft. Gleichwohl muss er fürchten, in den Schatten des smarten Bundeskanzlers zu geraten.

Das Rampenlicht hat Sebastian Kurz immer schon gemocht. Aber die Frequenz, in der Österreichs Außenminister derzeit die internationale Öffentlichkeit mit ziemlich undiplomatischen Aussagen aufscheucht, ist selbst für seine Verhältnisse ungewöhnlich. Innerhalb von drei Wochen hat Kurz austrotürkischen Unterstützern von Recep Tayyip Erdoğan die Ausreise nahegelegt, sich öffentlich via Twitter mit dem türkischen Außenminister gestritten, das Flüchtlingsabkommen mit der Türkei für gescheitert erklärt; er hat zum wiederholten Mal gefordert, die EU solle Bootsflüchtlinge nach australischem Vorbild auf Inseln im Mittelmeer internieren, und er hat sein Veto im Ministerrat angekündigt, falls die EU weitere Kapitel in den Beitrittsverhandlungen mit der Türkei eröffnen will.

Dass Kurz so nach vorne prescht, hat innenpolitische Gründe. Aber es liegt weniger an der Bundespräsidentenwahl, deren zweite Runde im Oktober wiederholt wird – der Kandidat von Kurz‘ konservativer ÖVP ist längst aus dem Rennen. Es hat mehr zu tun mit dem neuen Bundeskanzler Christian Kern und mit Kurz‘ eigenen Ambitionen. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 11.8.2016

 

Herrschaft der Alten – Kommentar

Hätten nur die jungen Wähler abstimmen dürfen, gäbe es keinen Brexit. Europas Bevölkerung vergreist, immer öfter bestimmen die Alten. Die Jungen müssen besser für ihre Interessen werben. Ein Kommentar

Hätten an diesem Donnerstag in Großbritannien nur die Jungen abstimmen dürfen, die zwischen 18 und 49 Jahren, hätte es diese Fernsehbilder gegeben: Menschen mit blau-gelben Europaflaggen umarmen sich, Politiker in Berlin und Brüssel strahlen, eine klare Mehrheit hat für „Remain“ gestimmt, das Vereinigte Königreich bleibt in der EU. Doch das Referendum ging anders aus. Entschieden haben das vor allem die Alten. Mit den Folgen müssen vor allem die Jungen leben. Der Brexit ist der Sieg der über 50-Jährigen über die Interessen der Generationen nach ihnen. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 25.6.2016

A belated fight

Ireland has the EU’s strictest abortion laws. Now, resistance is growing.

(A translation of this piece for the German daily paper “Süddeutsche Zeitung”. The trip to Ireland was made possible through a grant by the Karl Gerold Foundation.)

Tara Flynn makes a living off being funny. She writes columns and books, she acts in comedy series, she’s being invited to radio shows. But at her most important public appearance in recent months, on a sunny autumn afternoon in a park in Dublin, her voice broke, and nobody laughed. It was the start of the March for Choice, a pro-choice demonstration. „I had an abortion“, Tara Flynn said. „I am not a murderer. I am not a criminal.“ With her appearance, she put herself at the forefront of a fight that has long been settled in most of Europe, yet is only just starting in Ireland.Weiterlesen »

Später Kampf

Nirgendwo in Europa sind die Abtreibungsgesetze so scharf wie in Irland. Jetzt wächst der Widerstand. Zu Besuch bei Aktivisten.

Tara Flynn lebt vom Witzigsein. Sie schreibt Kolumnen und Bücher, spielt in Comedyserien mit, wird in Radioshows eingeladen. Aber bei ihrem wichtigsten Auftritt der vergangenen Monate, in einem kleinen Park in Irlands Hauptstadt Dublin, da lachte niemand, und Flynn brach die Stimme weg. „Ich habe abgetrieben“, sagte sie zum Auftakt des March for Choice, einer Demonstration für das Recht auf Abtreibung. „Ich bin keine Mörderin, ich bin keine Kriminelle.“ Sie stellte sich mit ihrem Auftritt an die Spitze eines Kampfs, der im Großteil Europas längst entschieden ist und in Irland gerade erst beginnt. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 31.3.2016
Die Recherchereise für diesen Text wurde von der Karl-Gerold-Stiftung bezahlt.