Wie antisemitisch ist Deutschland?

Hass auf Juden gibt es hier nicht mehr. So dachten viele. Dann verbrannte in Berlin eine Israel-Flagge. Haben die Flüchtlinge einen neuen Antisemitismus ins Land gebracht? Oder war er nie weg? Juden und Nichtjuden erzählen.

Von , , , und Ruth Eisenreich

Dies alles sind Nachrichten aus Deutschland vom Januar 2018: Die Union fordert die Ausweisung von Zuwanderern, die antisemitischen Hass verbreiten. Die Berliner Staatssekretärin Sawsan Chebli von der SPD, Tochter palästinensischer Flüchtlinge, verlangt, alle Menschen, die in Deutschland leben, auch Asylbewerber, müssten eine KZ-Gedenkstätte besuchen. Winfried Kretschmann, der baden-württembergische Ministerpräsident von den Grünen, erklärt: „Die Landesregierung wird auch weiterhin für die Sicherheit jüdischen Lebens in unserer Mitte bürgen.“ Der Bundestag fordert die Regierung mit großer Mehrheit auf, einen eigenen Antisemitismusbeauftragten einzusetzen.

Dies alles sind politische Notfallmaßnahmen. Sie sollen ein Signal aussenden, wenige Wochen nachdem sich etwa 1.200 Demonstranten vor dem Brandenburger Tor versammelt hatten. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 1. Februar 2018

Der letzte Zeuge

In Österreich kennt ihn jedes Schulkind. Auch wegen seines schwarzen Humors. Marko Feingold ist 103 Jahre alt, hat den Holocaust überlebt. Nun kämpft er gegen Antisemitismus – und ist selbst nicht frei von Vorurteilen.

 

Als Marko Feingold 100 Jahre alt wurde, hat er sich vorgenommen, nur noch einmal am Tag öffentlich aufzutreten. Zu viele Vorträge, zu viele Interviews. Mittags wird er dann oft müde. Aber manchmal hilft es nichts. Die Zeiten sind gerade nicht danach, dass einer wie er ruhen könnte.

Und so steht er an einem eisigen Morgen Anfang Dezember am Milchglasfenster der Salzburger Synagoge und schaut abwechselnd nach draußen in den Vorgarten und auf die von einem Davidstern umrandete Uhr an der Wand. Die Uhr zeigt 9.32 Uhr. Die Schulklasse sollte jetzt da sein, ist sie nicht. In einer Stunde muss Feingold aber schon zum Zug, nach Wien zur Sitzung des antifaschistischen Vereins, in dessen Vorstand er sitzt. Wer sich die Weltlage anschaut, ahnt, dass es viel zu besprechen gibt. Weiterlesen bei Blendle

Der Tagesspiegel, 18.12.2016

Der Gazakrieg in Bischofshofen

Bei einem Fußballmatch stürmen Jugendliche das Spielfeld und attackieren israelische Kicker. Was ist los mit den Austrotürken?

Seit Ende Juli kennt man die Salzburger Kleinstadt Bischofshofen sogar bei BBC und CNN. Das verdankt sie einem Match am örtlichen Fußballplatz: Der OSC Lille führt gerade 2:0 gegen Maccabi Haifa, als plötzlich eine Gruppe Jugendlicher mit Palästinaflaggen aufs Feld stürmt und sich mit den israelischen Spielern prügelt. Es sind keine Neonazis, sondern Teenager mit türkischen Wurzeln. Weiterlesen »

„Das Wort ‚Jude‘ wurde nie verwendet“

In ihrem Debütroman „Spaltkopf“ erzählte Julya Rabinowich die Lebensgeschichte einer russisch-jüdischen Emigrantin in Wien. Gerade ist ihr zweites Buch, die „Herznovelle“, erschienen. Mit NU sprach Rabinowich über den Antisemitismus in Russland und ihre jüdische Identität.

NU: Frau Rabinowich, die Identität spielt eine wichtige Rolle in Ihrem autobiografisch gefärbten Roman „Spaltkopf“. Das Judentum der Protagonistin kommt allerdings nur am Rande vor. Warum?

Rabinowich: Weil das für mich lange Zeit kein Thema gewesen ist. Es ist zwar unterschwellig total wirkend, aber eben sehr unterschwellig. Ich habe keine besonders firme jüdische Identität. Die Juden waren in Russland eine verfolgte Minderheit, die keinerlei Bräuche haben konnte; insofern war diese Identität hauptsächlich negativ besetzt. Es wurde auch das Wort „Jude“ nie verwendet. Was jetzt in Russland völlig anders wäre: Da gibt es Tendenzen dazu, in jeder Religion extrem zu werden – als Gegenreaktion auf die Religionsverbote und die erzwungene Personenverehrung der kommunistischen Diktatur.Weiterlesen »

Von Köpfen und Herzen

Schenya schüttelt den Kopf. „Ich darf nicht mit Juden spielen“, sagt er. (…) „Wer sind Juden eigentlich?“, frage ich und streiche lustvoll über die nach Farben geordneten Buntstifte. „Ich glaube, ich hab sie mal im Fernsehen gesehen. Die singen und tanzen sehr lustig und haben so geschlitzte Augen, oder?“ Meine Mutter legt den Pinsel weg und setzt sich sehr gerade auf. „Nein, mein Schatz“, sagt sie bestimmt. „Juden, das sind wir.“

Nicht dass diese Entdeckung Mischka, die Protagonistin von Julya Rabinowichs autobiografisch gefärbten Debütroman Spaltkopf, besonders beeindrucken würde. Viel wichtiger für sie sind: ihre Familie und deren alte Geheimnisse, ihr Gefühl der Entwurzelung nach der überraschenden Flucht aus Russland, ihre Suche nach der eigenen Identität. In achronologisch angeordneten, oft beinahe filmisch wirkenden Momentaufnahmen und einem lapidaren Tonfall schildert Rabinowich das Leben Mischkas von der frühen Kindheit bis ins Erwachsenenalter.Weiterlesen »