David Miranda auf einem Wagen auf der Pride Parade in São Paulo

Aus der Favela ins Parlament

Seit einem Jahr ist der Rechtsextremist Jair Bolsonaro Präsident Brasiliens. Aber es gibt auch ein anderes, ein linkes, ein progressives Brasilien. Für dieses steht der vielleicht unwahrscheinlichste Abgeordnete des nationalen Parlaments: David Miranda.

Als David Miranda am späten Nachmittag der Pride Parade von São Paulo, der angeblich größten Pride der Welt, oben auf einem Wagen steht, da wirkt er endlich wieder entspannt. Seine Rede hat er hinter sich gebracht, die Regenbogen­fahne auf seiner Wange ist verwischt, der Bart voll Glitzer von den vielen Umarmungen. Miranda tanzt, er lacht, er hüpft, er winkt den Menschen da unten, die ihm zukreischen, wirft ihnen Kusshände zurück. Er zittert nicht mehr wie am Vorabend im Auto. Drei der vier Leibwächter, die den ganzen Tag an ihm klebten und nervös die Menge scannten, sind gar nicht erst mit auf den Wagen gestiegen, und selbst der Ober­leibwächter gibt ihm jetzt ein bisschen Freiraum.

David Miranda, 34, ist der wohl unwahrscheinlichste Abgeordnete des brasilianischen Parlaments. Und ein persönliches Feindbild von Präsident Jair Bolsonaro. Weiterlesen auf republik.ch oder taz.de

Erschienen in der Republik, 2. Januar 2020, und der taz am Wochenende, 4./5. Januar 2020

David Miranda gibt auf der Pride Parade in São Paulo ein Interview

Radiobeitrag: Homophobie in Brasilien – David Mirandas Kampf für LGBT-Rechte

Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro verherrlicht die Militärdiktatur, findet Umweltschutz lächerlich, spricht abfällig über Frauen, Schwarze, Linke und hetzt gegen Homosexuelle. Aber neben dem ultrakonservativen Brasilien, das Bolsonaro bejubelt, gibt es auch ein progressives Brasilien, das sich nicht unterkriegen lassen will. Einer, der in der ersten Reihe mitkämpft für dieses andere Brasilien, ist der junge schwarze Politiker und LGBT-Aktivist David Miranda. Ruth Eisenreich hat ihn getroffen. Beitrag anhören in der Deutschlandfunk-Audiothek

Deutschlandfunk Nova, 29. November 2019

Die Männinnen

Eine jahrhundertealte Tradition erlaubt es albanischen Frauen, sich für ein Leben als Mann zu entscheiden. Mit allen Rechten und Pflichten, mit vielen Freiheiten – aber ohne Liebe.

Die Bäume an den Berghängen um das Dorf Xhuxhë leuchteten rot und golden, als Nushe Vorfi ihrer Cousine eine Schere in die Hand drückte. Die zögerte, weigerte sich: Vorfis Haare waren so schön, so lang, sie reichten der jungen Frau bis zu den Ellenbogen. Doch dann gab die Cousine nach. Eine erste braune Strähne fiel auf die Terrasse vor dem Haus, dann noch eine und noch eine. Als auf dem Kopf nur noch wenige Zentimeter übrig waren, trug Vorfi ihre, nein, seine abgeschnittenen Haare auf ein nahes Feld und verbrannte sie. Die Cousine hatte Vorfi an diesem Nachmittag zum Mann gemacht.

Nush Vorfi ist klein, 1,60 Meter vielleicht. Das karierte Kurzarmhemd flattert um einen flachen Oberkörper, darunter leicht taillierte Jeans mit künstlich abgewetzten Stellen, die Füße in schwarzen Plastikschlappen. Ein kantiges, sonnengebräuntes Gesicht, kurze Haare und breite Schultern. Dazu kräftige Hände, die Fingernägel sind sehr weit zurückgeschnitten. Vorfi ist 38, aber er wirkt mindestens zehn Jahre älter, sein faltiger, zerfurchter Hals könnte einem 90-Jährigen gehören. Vorfi spricht nur ungern über seine Gefühle, ein albanischer Mann tut das nicht. Aber was er in dem Moment empfunden hatte, in dem seine Haare fielen, auf der Terrasse an einem Herbstnachmittag des Jahres 1994, das weiß er heute noch: Erleichterung. Und Befreiung. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 27.1.2018

Bei Trauma: Abschiebung

Ihre Freundin auf der Straße zu küssen, war für Kyabangi Onyango lange unvorstellbar. In ihrem Heimatland Uganda steht auf Homosexualität lebenslange Haft. Die deutschen Behörden wollen die lesbische Frau trotzdem dorthin abschieben

Die Worte, die Kyabangi Onyango ins Gefängnis bringen könnten, klingen biblisch. „Fleischliche Kenntnis einer anderen Person gegen die Ordnung der Natur“, Artikel 145a, Strafe: lebenslange Haft. „Versuch, widernatürliche Delikte zu begehen“, Artikel 146, Strafe: sieben Jahre Haft.

  Es sind Worte aus dem ugandischen Strafgesetzbuch, sie haben Onyango, 35, bunt gestreifter Pulli, Jeans, raspelkurze Haare, aus ihrem Land getrieben. Jetzt sitzt sie mit einigen anderen Frauen in der Bar der Münchner Lesbenberatung Letra, in jeder Hinsicht ziemlich weit entfernt von einem ugandischen Gericht. Bier und Fritz-Cola auf den Tischen, Lounge-Musik. Onyango, deren echter Name zu ihrem Schutz nicht in der Zeitung stehen soll, begrüßt andere Frauen mit Umarmungen, „lange nicht gesehen“, sagt sie auf Deutsch. Was hier passiert, das hätte Onyango sich früher nicht vorstellen können: Dass sich hier lesbische Frauen treffen, nicht heimlich, sondern ganz offen. Dass sie sich nicht schämen für ihre Liebe. Dass sie sich auf der Straße küssen, wenn sie wollen. Und dass sie dafür nicht verhaftet, nicht verprügelt, nicht vergewaltigt werden.

  In Onyangos Heimatland Uganda ist Homosexualität strafbar, Gewalt gegen Lesben und Schwule alltäglich. Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Bayerische Verwaltungsgericht wollen Onyango dorthin abschieben. Sie haben ihren Asylantrag abgelehnt, schon in zweiter Instanz. Weiterlesen auf sueddeutsche.de

Süddeutsche Zeitung, 19.5.2015