Vertraute fern der Heimat

Vor zehn Jahren startete das Projekt „Connecting People“. 200 Österreicher haben seither Patenschaften für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge übernommen.

An den Schafskäse erinnert sich Hannes Dangl noch genau: „Da machst du das Einlegeglas auf, und es riecht nach Tier“. Constantin Ivanescu (Name geändert), der moldawische Patensohn der Familie Dangl, hatte den Käse von seinen Eltern geschickt bekommen und bei einem Ausflug stolz präsentiert. „Wir sind am Laaerberg gesessen, mit Blick Richtung Schwechat“, sagt Sabine König-Dangl, „und da hat Constantin von seiner Flucht erzählt, bei der er die Raffinerie zum ersten Mal gesehen hat“.

Constantin Ivanescu war im Frühling 2002 wegen der bitteren Armut aus seinem Heimatland Moldawien geflohen. Schlepper brachten ihn nach Bratislava, von dort marschierte er ziellos zu Fuß weiter und landete in Österreich. Da war er gerade einmal 15 Jahre alt. Er suchte um Asyl an, landete in einem Krisenzentrum für Jugendliche, dann in einer Wohngemeinschaft für unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Dort lernte er durch das Projekt Connecting People die Dangls kennen und fand in ihnen eine „Mischung aus Freunden und Elternersatz“, wie Hannes Dangl die Beziehung beschreibt.

„Die Füße auf den Boden kriegen“

Connecting People bringt seit zehn Jahren Österreicher mit unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen zusammen. Die Paten sollen ihren Schützlingen helfen, in Österreich „die Füße auf den Boden zu kriegen“, erklärt Projektleiter Klaus Hofstätter.

Der größte Teil der Patenkinder kommt aus Afghanistan, die meisten sind 16 bis 17 Jahre alt. Solange die Flüchtlinge minderjährig sind, werden sie vom Jugendamt betreut, von ihrem 18. Geburtstag an aber sind sie auf sich gestellt, erklärt Hofstätter. Gerade in der schwierigen Übergangszeit zur Volljährigkeit sei eine österreichische Bezugsperson eine große Hilfe.

Gegründet wurde Connecting People von Heinz Fronek, Projektkoordinator bei der Asylkoordination, einem Zusammenschluss mehrerer Flüchtlingsorganisationen. Die anfängliche Unsicherheit – „Findet sich auch nur ein Mensch in Österreich, der so was macht?“ – erwies sich bald als unbegründet: In den letzten zehn Jahren hat Connecting People über 200 Patenschaften vermittelt, drei Viertel der Paten haben noch Kontakt zu ihren Patenkindern. Die Dangls gehören nicht dazu.

„Zynisch und menschenverachtend“

Constantins Asylantrag wurde 2009 in zweiter Instanz abgelehnt. Da hatte er sieben Jahre – ein Drittel seines Lebens – in Österreich verbracht, Deutsch gelernt und den Hauptschulabschluss gemacht. Als „total zynisch und menschenverachtend“ beschreibt Sabine König-Dangl das Asylinterview.

Den Ärger über Österreichs „beschämenden“ Umgang mit Flüchtlingen nennen immer mehr angehende Paten als erstes Motiv für ihr Engagement, erzählt Klaus Hofstätter. Ihn macht dieses Thema ebenfalls wütend: Die meisten jugendlichen Flüchtlinge seien lernwillig und zukunftsorientiert, sagt er, „aber das oft intransparente, willkürliche und schikanöse System raubt ihnen die Perspektive und das Vertrauen in unsere Gesellschaft“.

Auch die Dangls haben ihr Patenkind als fröhlichen, optimistischen und tatkräftigen jungen Mann kennengelernt, von dem sich „g’lernte Österreicher“ etwas abschauen könnten. „Der ist sich für nichts zu schade, will einfach nur arbeiten und seine Steuern abliefern, aber Österreich will seine Steuern nicht“, ärgert sich Hannes Dangl.

Einige Wochen nach dem negativen Asylbescheid verschwand Constantin. Seine Paten vermuten, dass er sich nach England oder Italien durchgeschlagen hat. „Aber ich traue ihm auch zu, dass er plötzlich mit einer österreichischen Frau vor der Tür steht“, sagt Dangl.

Hochzeiten und Adoptionen

Klaus Hofstätter würde das nicht wundern. Er weiß von einem Patenkind, das sich nach einem Jahr Funkstille bei seiner Patin meldete und sie als Trauzeugin zu seiner Hochzeit einlud. Andere Patenkinder werden in den Familien ihrer Paten wie eigene Kinder aufgenommen, einige wurden sogar von ihnen adoptiert. Doch nicht alle Beziehungen laufen von Anfang an reibungslos, Missverständnisse sind häufig. Um Anfangsschwierigkeiten zu vermeiden, müssen angehende Paten eine Schulung absolvieren, bevor sie mit ihren Schützlingen zusammengebracht werden. An acht Abenden bekommen sie Einführungen in Themen wie „Asyl- und Fremdenrecht“, „Interkulturelle Kommunikation“ und „Flucht und Trauma“.

Im Ein-Mann-Betrieb organisiert Klaus Hofstätter die Schulungen und betreut die Paten. Für ausgiebige Werbung bleibt da weder Zeit noch Geld, die meisten Paten erfahren durch Mundpropaganda oder Zufall von dem Projekt. Sabine König-Dangl etwa hatte an einem Winterabend im Jahr 2003 beim Bügeln den Fernseher laufen. Die Sendung „Thema“ berichtete über Connecting People. „Da war ein älterer Mann mit Bart, der zwei afghanische Burschen betreut hat“, erinnert sich die Sozialpädagogin, „und ich hab mir gedacht: Wow, das will ich auch machen.“

Eine Erfolgsstory

Der bärtige Mann aus dem Fernsehen heißt Raimund Sobotka und ist emeritierter Professor der Sportwissenschaft. Acht Jahre nach seinem TV-Auftritt sitzt er auf einer roten Ledercouch und schaut einem dunkelhäutigen Buben beim Spielen zu. Auf den hohen Lautsprecherboxen hinter dem Sofa sind kleine afghanische Fahnen befestigt: Die Wohnung gehört Sobotkas Patenkind Ruhollah Sedighi und dessen Frau Faria.

Sedighi kam 2001 gemeinsam mit seinem Bruder Omid aus Afghanistan nach Österreich. Die beiden waren von den Taliban verfolgt worden, weil sie nach dem Tod ihrer Eltern mit dem Verkauf von Wein Geld verdient hatten und weil ihr Vater unter den Kommunisten – bei den Taliban ähnlich verhasst wie die Amerikaner – beim Geheimdienst war. „Ich schreibe mir zu, diesen Asylgrund entdeckt zu haben“, sagt Raimund Sobotka, „die haben so Sachen angegeben wie: Sie haben keine Eltern. Aber das ist kein Asylgrund, da kann es ihnen noch so schlecht gehen“.

Sobotka half seinen Schützlingen nicht nur im Asylverfahren. Er beriet sie bei Behördengängen, machte mit ihnen Ausflüge, gab Nachhilfe. Ruhollah Sedighi schloss die Hauptschule und eine Lehre ab und arbeitet mittlerweile als Autospengler bei der MA48. Bei einem Konzert lernte er die ebenfalls aus Afghanistan stammende Faria kennen, Sohn Aryan wird im Juli zwei Jahre alt. Seit 2004 hat Sedighi die österreichische Staatsbürgerschaft. „Österreich ist meine zweite Heimat. Oder die erste, da gibt’s nicht viel Unterschied“, sagt der 25-Jährige in seinem persisch gefärbten Wienerisch.

Sedighis Bruder Omid hingegen hat Österreich wieder verlassen. Er hat in Wien eine Kanadierin kennengelernt, ist ihr in ihre Heimat gefolgt und betreibt dort ein Schnitzelhaus.

Falter, 6.4.2011

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