Ein Tarnschnurrbart, ein lallender Nationalratspräsident und viele Narben. Zu Besuch beim WKR-Ball
Ballbesuch: Ruth Eisenreich, Benedikt Narodoslawsky
„Scheiße“, sagt Rainer Schüller. Der Innenpolitikchef des Online-Standard hat sich für den Ball extra einen dünnen Schnurrbart wachsen lassen. Undercover wollte er sich einschleichen. Und jetzt steht die Konkurrenz vor ihm. Das Pärchen vom Falter: Er glattrasiert im Smoking, sie geschminkt im bodenlangen Kleid. Auch die Presse kam verkleidet, der Kurier, der Print-Standard und die Reporter von der Vienna Review. Der Redakteur vom Monatsmagazin Datum hat sich seinen dichten Vollbart abrasiert.
Alle wollten „wallraffen“ beim „Naziauflauf“, wie die Demonstranten den Ball nennen. Außer der Apa waren ja keine Medien zugelassen. Und so tat die Branche, was sie sonst so scheut: verdeckt recherchieren. Züchtig verhüllt mussten die Aufdecker antreten. „Es darf kein Knöchel sichtbar sein“, hatte der freundliche Herr mit den vielen Narben im Gesicht erklärt. Im Büro der „Österreichischen Landsmannschaft“ im achten Bezirk überreichte er die Karten. 72 Euro pro Stück, Frakturschrift auf dem Kuvert.

Es sind Eintrittskarten in eine Welt voller bunter Uniformen und deutschnationaler Sprüche, in die abgeschottete Wirklichkeit der Korporierten, das alljährliche Schaulaufen der Rechten, das tausende Gegendemonstranten auf die Straße treibt. Heuer zum letzten Mal in der Hofburg, und ausgerechnet am Befreiungstag von Auschwitz.

Sie erzählen von „Antifanten“, die sie beschimpft, bespuckt und auf ihre Taxis eingetreten hätten. Während die Demonstranten vor der Hofburg „Nazis raus“ brüllen, spielt im Entree ein Streichorchester Klassik. Es ist eine heile Welt unter schweren Kristalllustern; hier sind Männer echte Gentlemen, bezeichnen ihre Begleiterinnen als den „Schmuck“ des Balles, als „Damenflor“.

An der Garderobe rückt der rechtskräftig verurteilte Holocaust-Leugner und ehemalige FPÖ-Politiker John Gudenus einem jungen Mann mit blutigem Auge die Fliege zurecht. Heinz-Christian Strache hält die Eröffnungsrede, der Ball steht unter dem Motto „Freiheit und Demokratie“. Das Wort „Versammlungsfreiheit“ klingt aus Straches Mund wie ein Kampfbegriff. Die Ballbesucher lobt der FPÖ-Chef als „aufrechte Demokraten“, die „Heimat“ und „Vaterland“ ehren. Zu später Stunde wird er Angriffe von Demonstranten auf Burschenschafterbuden mit der „Reichskristallnacht“ vergleichen. „Wir sind die neuen Juden“, wird er sagen. Ein Kollege vom Standard wird den Satz jedenfalls so notieren. Andreas Mölzer geht vorbei. Lächeln! Barbara Rosenkranz, ehemalige Bundespräsidentschaftskandidatin der FPÖ, betrachtet den Swarovski-Schmuck, den es oberhalb der Feststiege zu kaufen gibt. An ihrer Seite ihr kahlköpfiger Ehemann Horst Jakob, der rechtsextreme Publizist.

An der Raucherbar lallt Martin Graf, der Dritte Nationalratspräsident. Mehr als Wortfetzen sind nicht zu verstehen. Mit dem einfachen Ballvolk ins Gespräch zu kommen ist schwer. Alle scheinen einander zu kennen, Frauen ohne Begleitung fallen auf, Männer ohne Burschenschafterdeckel, Schärpe und Schmiss ebenso. „Darf ich wissen, warum Sie hier sind?“, lautet dann die erste Frage.

Am zugänglichsten sind die vielen Deutschen. „Nicht alle Juden sind so, aber es gibt da ganz gefährliche Kreise. Das mit der Krise – das waren wieder die“, sagt ein Hamburger Burschenschafter, Lehrer von Beruf. „Das Problem des Nationalsozialismus war, dass Hitler radikal gesagt hat: alle sofort raus!“

Der Redakteur huscht aufs Klo, sperrt ab, setzt sich auf die Muschel und notiert die Aussagen des Lehrers, während sie von außen die Klinke nach unten drücken. Sein Notizblock würde ihn sofort verraten. Aus dem Wasserhahn tröpfelt es nur – „besser das Wasser ist aus als das Bier“, scherzt ein Ballgast. 0,33 Liter Gösser gibt es um 5,20 Euro, es fließt heute in Strömen. Beim Studentenlied „Burschenschafterherrlichkeit“, mit dem der Ball traditionell endet, ist das Anstoßen mit Bier Sitte.

Einige der jungen Männer haben Schnittwunden vom Mundwinkel bis zum Ohr. Stefan vom Corps Alemannia Wien zu Linz nicht. Gerade hat er erklärt, dass 98 Prozent der Burschenschafter nicht rechtsextrem seien – „Grünwähler vielleicht nicht gerade“ -, da gesellt sich ein älterer Herr mit schwarz-rot-goldener Schärpe zu der Runde. „Wir sind ja liberal“, sagt er, „wir akzeptieren alle: Burschenschaften, Verbindungen, Corps, Landsmannschaften. Aber die anderen …!“

Und dann zeigt sich, dass Burschenschafter sogar demonstrierenden Damen gegenüber zuvorkommend sind. „Ich habe einen Bummel zuhause“, sagt er, „einen Spazierstock, der nach unten dünner wird, mit einem schönen großen ziselierten Knauf. Zum nächsten WKR-Ball nehm ich den mit. Für die Damen verwend ich die dünne Seite, die sind ja zarter, aber für die Herren nehm ich den Knauf.“

Der nächste WKR-Ball? Der soll ja dem Vernehmen nach nicht in der Hofburg stattfinden. Aber Martin Graf weiß mehr. „Bis zum nächsten Jahr, selber Tag“, verabschiedet er sich am Gang vor den Toiletten von einer Dame im grün-blau karierten Kleid. „Und wo?“, fragt sie. „Hier“, sagt Graf, und auf ihren erstaunten Blick hin: „Das ist an sich zugesagt. Das läuft dann halt nicht unter Firma WKR, sondern unter Akademikerball.“
Falter, 1.2.2012
[…] Zu gleich wird die alltägliche Politik diskutiert und die Wirtschaftskrise schon mal Juden und Jüdinnen zugeschoben. Nichts Neues. […]