Mit dem Rücken zur Wand

In der Siedlung Wolfersberg zeigte der rote Wohnbaustadtrat Michael Ludwig seine kapitalistische Seite

Vom „Schutz der Bewohner“ und davon, dass Wohnen in Wien leistbar bleiben müsse, spricht der Wiener SPÖ-Wohnbaustadtrat Michael Ludwig gern in Inseraten und Interviews. Gottfried Krause gerät in Rage, wenn er das liest.

Krause ist Leiter des Arbeitskreises Baurecht im Wiener Siedlerverband. Er hat in den letzten Monaten Menschen vertreten, denen das Rote Wien seine kapitalistische Seite gezeigt hat: Die Stadt hat die jährlichen Kosten für den Grund, auf dem ihre Häuser stehen, um 2000 Prozent angehoben. Das Zweifamilienhaus der Familie Bozova zum Beispiel. 120.000 Euro haben die Bozovas in die laufende Renovierung gesteckt, seit sie es im Jahr 2003 gekauft haben.

Jetzt ist die eine Hälfte des Hauses, wo Neli und Vasil Bozova mit ihrem Sohn wohnen, strahlend weiß gestrichen. Von den Wänden der anderen Hälfte blättert der Putz, hinter einer abgerissenen Regenrinne klemmt ein Schild mit der Aufschrift „Betreten der Baustelle verboten“. Hier hätte nach der Renovierung Nelis Schwester Stanislava einziehen sollen. Doch den Bozovas ist das Geld ausgegangen.

Mit Ende 2011 sind die jährlichen Kosten für ihren Grund von 430 Euro auf 11.000 Euro gestiegen. Da ist ihr Baurechtsvertrag mit der Stadt Wien ausgelaufen. Ein Baurechtsvertrag, das ist eine Art Pachtvertrag für ein Grundstück. Hunderte solcher Verträge hat die Stadt allein am Wolfersberg, eine Viertelstunde Busfahrt von der U4-Endstation Hütteldorf, in den 1930er-Jahren vergeben. Die Baurechtsnehmer verpflichteten sich, auf dem noch unaufgeschlossenen Grund auf eigene Kosten Häuser zu errichten, den Bau der Wasserleitungen zu bezahlen und beim Straßenbau eigenhändig mit anzupacken. Dafür bekamen sie den Grund günstig zur Verfügung gestellt – eine damals durchaus übliche Art von Wohnbauförderung.

Im Laufe der Jahre kauften die meisten Baurechtsnehmer der Stadt ihre Gründe ab. Doch nicht alle konnten sich das leisten. Der Bauzins für die 14 übrigen Verträge wurde jahrzehntelang nicht wertangepasst, 36 Euro pro Monat zahlten die Bozovas für ihr Grundstück. „Das war wirklich sehr niedrig, keine Frage“, sagt Neli Bozova.

Dass der Zins im neuen Vertrag höher sein würde, wusste die Familie, als sie das Haus kaufte und den Baurechtsvertrag übernahm. Mit einer Steigerung um das Zehnfache, mit 400 Euro monatlich, hätten sie gerechnet, das hätten sie sich leisten können, sagt Bozova. Geworden sind es 918 Euro pro Monat – allein für den Grund. Dazu kommen Betriebs- und Instandhaltungskosten. Auch Grunderwerbssteuer müssen die Bozovas zahlen, obwohl das Grundstück, wenn am 31.12.2071 der neue Baurechtsvertrag ausläuft, nicht ihnen, sondern immer noch der Stadt Wien gehören wird. Rechtlich mag das in Ordnung sein. Zum Bild des sozialen Wien, das die Stadt gerne von sich zeichnet, passt es nicht.

Was Krause besonders ärgert: Seit langem hätten die Siedler die Stadt immer wieder nach den Bedingungen des neuen Vertrages gefragt. Immer sei die Antwort gewesen: Wir haben es noch nicht durchgerechnet, aber stark steigen wird der Bauzins nicht.

Im September 2011 dann die unerfreuliche Überraschung. Per Brief bekamen die Bewohner den um 2000 Prozent gestiegenen Bauzins mitgeteilt, dazu ihre Alternativen: Unterschrift oder Auszug und Verkauf des Hauses an die Stadt um ein Viertel des Wertes. „Wir ersuchen Sie um Mitteilung innerhalb von zwei Wochen, für welche Möglichkeit Sie sich entschieden haben“, endet das Schreiben.

Der Auszug kam für viele Wolfersberger nicht infrage. Einige wohnen schon seit Jahrzehnten hier, andere haben wie die Bozovas viel Geld in die Renovierung der billig gebauten Häuser aus den 1930ern gesteckt. Sie standen mit dem Rücken zur Wand.

Sämtliche Gespräche mit der Stadt Wien seien ergebnislos geblieben, beklagen die Siedler. Im November bat Gottfried Krause um einen Termin bei Wohnbaustadtrat Ludwig, schließlich bekam er einen für Ende Jänner – da hätten die Häuser schon der Stadt gehört, hätten die Siedler den neuen Vertrag nicht unterschrieben.

Ludwigs Sprecher Hanno Csisinko versteht nicht, worüber man verhandeln hätte sollen. Vom Ablauf des Vertrages hätten die Siedler gewusst, sagt er, das Angebot der Stadt sei sozial ausgewogen gewesen, der verlangte jährliche Bauzins von drei Prozent des Grundwertes plus Wertanpassung liege unter den marktüblichen Preisen.

Genau hier haken die Siedler ein: Zunächst entspreche der Bauzins wegen der Wertanpassung einem Realzins von etwa sechs Prozent – die Stadt Wien bekommt für den Grund also doppelt so hohe Zinsen wie für Geld am Sparbuch. Tatsächlich vergibt etwa die rot regierte Stadt St. Pölten Baurechtsverträge für einen Bauzins von einem Prozent plus Wertanpassung.

Und zweitens dürfe zur Berechnung gar nicht erst der heutige Grundwert herangezogen werden – schließlich haben die ursprünglichen Baurechtnehmer wertloses Grünland übernommen und es eigenhändig zu dem teureren Land gemacht, das es heute ist.

Auch Csisinkos Argument, dass die Stadt bedürftigen Siedlern – am Wolfersberg einer Frau – individuelle Ermäßigungen gewährte, will Krause nicht gelten lassen. Ihm gehe es um eine grundlegende Lösung, schon deshalb, weil in den nächsten Jahrzehnten hunderte ähnliche Fälle anstehen könnten. „Die Stadt Wien trifft eine soziale Verantwortung“, sagt er.

Die Siedler haben die neuen Verträge schließlich unterschrieben. Neli und Vasil Bozova haben Stanislava, deren Haushälfte nicht begehbar ist, ihr Schlafzimmer überlassen. Das Ehepaar schläft bis auf weiteres auf der blauen Sitzecke im Wohnzimmer.

Für die zuständige MA 69 ist das Kapitel Wolfersberg damit beendet. Alle Verträge wurden neu abgeschlossen, erklärt der verantwortliche Beamte Helmut Nott dem Falter, von Druck auf die Bewohner sei ihm nichts bekannt, „mehr habe ich dazu nicht zu sagen, auf Wiederhören“.

Falter, 14.3.2012

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