Der Boulevard schlägt zurück

Die Zeitung Österreich hat den Presserat verklagt: Er wolle ihr wirtschaftlich schaden. Kann das stimmen?

Eine Jugendliche stirbt unter mysteriösen Umständen in einem Spital. Die Tageszeitung Heute berichtet darüber – und zeigt ein privates Foto des jungen Mädchens, ohne dessen Mutter um Erlaubnis gefragt zu haben.

In einem Eissalon werden zwei zerstückelte, eingemauerte Männerleichen gefunden. Bald wird die Eissalonbesitzerin, die Exfreundin beider Männer, verhaftet. Die Kronen Zeitung bezeichnet die junge Frau als „Todeshexe“.

Eine Frau liegt in der geschlossenen Abteilung einer Psychiatrie. Eine Journalistin der Zeitschrift News schleicht sich dort ein, um ein Interview mit der Patientin zu führen.

Ein junger Mann begeht Selbstmord, indem er mit dem Auto in eine Hausmauer fährt. Die Tageszeitung Österreich zeigt ein unverpixeltes Foto des Burschen, berichtet über seine Arbeitslosigkeit, seine politische Einstellung, seine Beziehungsprobleme – und druckt am nächsten Tag seine Abschieds-SMS an seine Freundin ab.

Ist all das in Ordnung? Nein, sagt der österreichische Presserat – und wird dafür jetzt von Wolfgang Fellners Mediengruppe Österreich geklagt.

Österreich ist eine jener Zeitungen, die vom Presserat besonders häufig gerügt wurden. Weil Österreich gleichzeitig – neben Krone und Heute – zu jenen österreichischen Tageszeitungen zählt, die nicht Mitglied des Presserats sind, vermutet die Mediengruppe hinter den Urteilen wirtschaftliche Interessen der Konkurrenz: „Die ‚Entscheidungen‘ der ‚Senate‘ werden der Sache nach von Mitbewerbern getroffen“, schreibt Österreich-Geschäftsführer Oliver Voigt; der Presserat urteile über Nichtmitglieder „nach willkürlichen Maßstäben“.

„Die Senate agieren weisungsfrei und unabhängig“, beteuert hingegen Presserats-Geschäftsführer Alexander Warzilek. Die Maßstäbe des Presserats sind leicht einsehbar: Er orientiert sich am „Ehrenkodex für die österreichische Presse“, den er erstellt hat und der zum Anhang des Journalistenkollektivvertrags gehört.

Im Ehrenkodex steht etwa, dass Journalisten ausgewogen berichten sollen, dass sie zwischen Meldung und Kommentar trennen müssen und sich nicht bestechen lassen dürfen.

Dass sie Menschen nicht unter Druck setzen oder in die Irre führen und emotionale Stresssituationen nicht ausnützen dürfen, um an Material zu gelangen, wie es News tat, als es sich in die Psychiatrie einschlich.

Dass sie niemanden diffamieren oder gefährden dürfen und die Rechte und die Würde jedes Menschen wahren müssen, was die Krone mit der Formulierung „Todeshexe“ nicht tat.

Dass sie die Intimsphäre jener Menschen wahren müssen, über die sie berichten – vor allem, wenn es sich um Kinder oder Jugendliche handelt -, wogegen Heute und Österreich verstießen.

Gerade Boulevardmedien verhalten sich ethisch oft fragwürdig – zuletzt stellte Österreich etwa einen Liveticker vom Begräbnis eines ermordeten Kindes auf seine Website – und stehen deswegen immer wieder vor Gericht. So wurde die Krone wegen ihrer Berichterstattung über die „Todeshexe“ Estibaliz C. nicht rechtskräftig zu 5000 Euro Strafe wegen Beschimpfung verurteilt.

Weil aber nicht alles, was moralisch bedenklich ist, auch strafbar ist, gibt es in den meisten westlichen Demokratien Selbstregulierungsorgane. Sie sind die Alternative zur staatlichen Kontrolle der Medien, die im schlimmsten Fall zu einer gleichgeschalteten Medienlandschaft führen kann, wie autoritäre Staaten sie haben.

Die österreichische Variante des Presserats ist, wie so vieles im Land, sozialpartnerschaftlich angelegt. Der Rat setzt sich aus Vertretern von sechs Organisationen zusammen, die Journalistengewerkschaft und die Arbeitgebervertretung, der Verband Österreichischer Zeitungen (VÖZ), entsenden die meisten Mitglieder.

Genau hier hakt die Klage von Österreich ein: Weil Österreich als Gratiszeitung kein VÖZ-Mitglied werden darf, fühlt man sich auch aus dem Presserat ausgeschlossen. Zumindest in der Theorie aber könnte Österreich über die Gewerkschaft oder einen der kleineren Trägerverbände durchaus Vertreter in den Presserat entsenden. Dass das möglich ist, zeigt die Krone: Sie hat zwei Vertreter im Presserat, ohne diesen je anerkannt zu haben.

Nicht alle Fälle, die der Presserat behandelt, sind so eindeutig wie die genannten. Darf der Standard Otto Habsburg als „Otto Hättiwari“ bezeichnen? Ja, gerade noch keine Beleidigung, urteilte der Presserat. Darf die Krone die Schlagzeile „Jagd auf Strasser kann losgehen!“ verwenden? Nein, damit wird Strassers Menschenwürde verletzt.

Darf Heute titeln: „Pleite-Griechen, wollt ihr uns für dumm verkaufen?“? Ja, noch keine Volksverhetzung. Darf Österreich ohne Nennung zuverlässiger Quellen von einem „Drogenkrieg“ zwischen Banden von „Afrikanern und Tschetschenen“ berichten? Nein, das ist eine pauschale Verunglimpfung ganzer Personengruppen.

Darf eine Mädchenzeitschrift zu einem Text mit Abnehmtipps ein Foto einer schlanken Frau zeigen, die eine Säge an ihren Bauch hält? Sie darf, sollte aber nicht. Dürfen Zeitungen Fotos des sterbenden libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi drucken? Ja, aber keine extra blutigen.

Viele der wirklich drastischen Fälle landen wohl gar nicht vor dem Presserat. Denn wer sich als Betroffener dort beschwert, darf nicht wegen desselben Falles vor Gericht ziehen. Nur wenn der Presserat einen Fall selbst aufgreift, kann es ein Gerichtsurteil und ein Urteil des Presserats geben, wie etwa bei der „Todeshexe“ Estibaliz C.

Besonders der VÖZ hatte vor der Neugründung des Presserats für diese Regelung plädiert: Er wollte verhindern, dass sich die Gerichte von Urteilen des Presserats beeinflussen ließen. Doch viele Journalisten und Juristen glauben, dass die Regelung den Presserat schwäche, weil die Betroffenen eher auf die Beschwerde verzichten würden als auf die Klage. Der Verfassungsrechtler Walter Berka befürchtete gar, dass die Regelung Grundrechte aushebeln werde.

Aber nicht nur aufgrund dieser Regelung gilt der Presserat allgemein als schwach: Er hat außer der Veröffentlichung von Urteilen keinerlei Sanktionsmöglichkeiten gegen Medien, die sich unethisch verhalten.

Viele in der Medienbranche wünschen sich daher immerhin eine kleine staatliche Eingriffsmöglichkeit: Nur Medien, die sich zur Einhaltung des Ehrenkodex verpflichten, sollen Presseförderung und Anzeigen von staatlichen Unternehmen bekommen.

Vertreter des Presserats glauben aber, dass das öffentliche Anprangern allein durchaus seinen Zweck erfüllt. „Ich weiß von Gesprächen mit Vertretern von Österreich, Krone und Heute, dass es sie nervlich extrem belastet, Negativetiketten aufgeklebt zu bekommen“, sagt Claus Reitan, Chefredakteur der Furche und ehemaliger Österreich-Boss.

Reitan sieht – nicht als Einziger – gerade die Österreich-Klage als Zeichen für die Macht der Selbstregulierung: „Wäre der Presserat nicht effektiv, würde Österreich ihn ja nicht klagen.“

Dass Österreich mit der Klage durchkommen könnte, glaubt in der Branche kaum jemand. Schon alleine, weil es einen Präzedenzfall gibt: Als 1997 der – damals noch mutmaßliche – Briefbomber Franz Fuchs verhaftet wurde, titelte die Krone über dessen Foto: „Ein Bild wie ein Geständnis“. Der Presserat rügte sie wegen Verletzung der Unschuldsvermutung, die Krone antwortete mit einer Klage wegen unlauteren Wettbewerbs und Kreditschädigung – und verlor in allen Instanzen.

Falter, 11.7.2012

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