Der Fall eines Vergewaltigers, der nicht ins Gefängnis muss, empört das Land. Ist die Fußfessel gescheitert?
Ein Mann nimmt ein 15-jähriges Mädchen aus einer zerrütteten Familie bei sich auf und vergewaltigt es mehrmals. Die junge Frau erstattet Anzeige, der Mann wird verurteilt – und muss trotzdem nicht ins Gefängnis. Sein Haftantritt hatte sich jahrelang verzögert; jetzt gestattet ihm ein Gericht, seine Strafe mit einer Fußfessel zu Hause abzubüßen.
Der Fall hat für große Empörung gesorgt; Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) persönlich hat veranlasst, dass er noch einmal geprüft wird. Kein Wunder: Opfer sexueller Übergriffe leiden oft ihr ganzes Leben, immer wieder werden die niedrigen Verurteilungsraten und die oft geringen Strafen für Sexualstraftäter kritisiert – und jetzt soll einer ohne Gefängnisstrafe davonkommen, obwohl das Gericht seine Schuld als erwiesen ansah, obwohl er keine Reue zeigt?
Damit ist auch die Fußfessel – mit offiziellem Namen „elektronisch überwachter Hausarrest“ -, die 2010 einstimmig im Parlament beschlossen wurde, in die Diskussion geraten. Der Vergewaltiger bekomme „Hausarrest wie ein Pubertierender, der beim Stehlen eines Schokoriegels erwischt wurde“, schrieb die Kronen Zeitung.
Ganz so ist es nicht, sagt hingegen Walter Hammerschick vom Institut für Rechts- und Kriminalsoziologie, der die Fußfessel im Auftrag des Justizministeriums evaluiert: „Die Fußfessel ist Freiheitsentzug, das Leben damit ist alles andere als einfach.“
Die Fußfessel ist mit einer Basisstation in der Wohnung des Straftäters verbunden. Er darf die Wohnung nur zu bestimmten Zeiten verlassen, um zur Arbeit oder einkaufen zu gehen. Will er etwa zum Arzt, muss das vorab genehmigt werden. Ist er zu den vorgegebenen Zeiten nicht zu Hause, schlägt das System Alarm.
„Im Gefängnis wird man praktisch entmündigt, mit Fußfessel muss man sich selbst die Freiheit beschränken“, sagt Gerhard Nogratnig, leitender Staatsanwalt in der Strafvollzugsabteilung des Justizministeriums. Das sei für viele Täter durchaus schwierig.
Trotzdem ist der Hausarrest mit Fußfessel für Straftäter deutlich angenehmer als die Haft. Und hier berührt die Fußfessel eine grundlegende Problematik des Rechtssystems.
So grausam ein Verbrechen auch ist, so sehr es selbst in liberal denkenden Menschen den Wunsch nach „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ aufkommen lässt: Der Richter muss abwägen und auch berücksichtigen, was nach dem Gefängnisaufenthalt passiert.
„Die Allgemeinheit kann nicht einschätzen, was Freiheitsentzug bedeutet“, sagt Walter Hammerschick, „auch für das Umfeld des Betroffenen“. Wer in Haft sei, könne seine Familie nicht finanziell unterstützen, manchmal verliere diese deshalb gar die Wohnung.
Die Fußfessel soll helfen, solche Folgen zu vermeiden und die Integration des Täters in die Gesellschaft zu erleichtern. Denn wer es nach der Haft nicht schafft, sich zu integrieren, wird eher wieder straffällig – die härtesten Strafen sind also nicht zwangsläufig die besten für die Gesellschaft.
Selbst Opferschützer sprechen sich daher gegen das „Auge um Auge“ aus. „Ich tu mir mit dem rigiden ‚Schwanz ab!‘-Zugang schwer“, sagt etwa Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft. „Das Wichtigste ist, dass der Täter eine Therapie bekommt.“
Walter Hammerschicks Evaluation der Fußfessel hat ergeben, dass sie sich gut bewährt; die Justiz gehe bei der Überprüfung jener Täter, die sie beantragen, „sehr seriös und sorgfältig“ vor, sagt Hammerschick.
Wer eine Fußfessel will, muss eine Reihe von Kriterien erfüllen, die vor allem mit der gesellschaftlichen Integration zu tun haben (siehe unten) – und seine (Rest-)Strafe darf höchstens zwölf Monate betragen. Trifft all das zu, muss das Gericht die Fußfessel genehmigen.
Der Vergewaltiger, der die aktuelle Diskussion ausgelöst hat, wurde ursprünglich zu 24 Monaten teilbedingter Haft verurteilt. Später wurde der unbedingte Teil der Strafe von acht Monaten auf sechs herabgesetzt – auf die niedrigste Strafe, die das Gesetz für Vergewaltigung vorsieht. Die Angst des Opfers, sein Vergewaltiger könnte ihm plötzlich auf der Straße begegnen, wäre auch ohne Fußfessel-Entscheidung nur für ein halbes Jahr gebannt.
Die Zahlen
959 Straftäter haben bisher eine Fußfessel bekommen, 42 mussten die Maßnahme beenden
1,73 Prozent jener Menschen, die 2011 eine Fußfessel trugen, wurden in der Zeit neuerlich straffällig
22 Sexualstraftäter bekamen bisher Fußfesseln, zwei mussten abbrechen – nicht wegen erneuter Straftaten
Die Kriterien
Ein Straftäter hat Anspruch auf eine Fußfessel, wenn seine (Rest-)Strafe höchstens ein Jahr beträgt, er eine Unterkunft, einen Arbeitsplatz, ein Einkommen und eine Krankenversicherung hat und alle, die mit ihm zusammenleben, einverstanden sind
Es muss anzunehmen sein, dass er die Vollzugsform nicht missbrauchen wird
Bei Sexualstraftätern muss die Begutachtungs- und Evaluationsstelle für Gewalt- und Sexualstraftäter (BEST) eine Stellungnahme abgeben
Falter, 29.8.2012