Der Aushilfskärntner

Im tiefen Süden der Republik ist Politik primitiv, der Ton vulgär, und die Tricks sind dreckig – in dieses Biotop hat es den smarten Diplomaten Wolfgang Waldner verschlagen.

Wolfgang Waldner hat ein Foto auf seine Facebook-Seite gestellt, auf dem er mit Barack Obama plaudert. Dazu noch eines, das ihn mit Ban Ki Moon zeigt, und eines, auf dem er bei einer UN-Konferenz in Rio hinter dem Rednerpult steht. Es sind Aufnahmen aus einem Paralleluniversum, kein Jahr sind sie jetzt alt.

Es gibt auch neuere Fotos von Wolfgang Waldner im Internet zu bewundern: Sie zeigen ihn im Winnetou-Kostüm beim Villacher Faschingstreiben, bei der Eröffnung der Agrarwoche in St. Andrä, mit einer Motorsäge in der Hand in der Landwirtschaftlichen Fachschule Litzlhof oder in einem Kuhstall in Weißenstein.

Der 58-jährige Karrierediplomat gilt als intellektuell, weltoffen und kultiviert. Er studierte Jura, ging mit Ende 20 in die USA, arbeitete vier Jahre lang als Kulturattaché in Washington und elf Jahre lang als Direktor des Österreichischen Kulturinstituts in New York. Als Leiter des Wiener Museumsquartiers kehrte er nach Österreich zurück und jettete schließlich 16 Monate lang als Staatssekretär im Außenministerium um die Welt. Plötzlich nahm sein Lebensweg eine Wende, mitten hinein in die Provinzpolitik, dorthin, wo sie besonders rüde ist.

Bei der Kärntner ÖVP war die Not gerade groß. Da zauberte der neue Parteichef Gabriel Obernosterer den smarten Musterschüler aus der Kärntner Diaspora aus dem Hut, und der wagte sich als neuer Landesrat in Klagenfurt auf ein berüchtigt hartes Pflaster. Hier regieren die rüpelhaften Erben von Jörg Haider, hier wird Politik am Stammtisch gemacht, hier reißt der Landeshauptmann rassistische Witze und ignoriert die Erkenntnisse des Verfassungsgerichtshofs. Und hier saß zeitweise die halbe Regierung auf der Anklagebank. Auch Josef Martinz, ehemaliger Landesparteiobmann und Landesrat der ÖVP: Er wurde wegen Untreue nicht rechtskräftig zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt.

Das ungleiche Duo Waldner und Obernosterer soll nun diese Skandale vergessen machen und der Partei vor den Landtagswahlen am 3. März ein sauberes Image verleihen. Auf Flyern präsentiert es sich in strahlend weißen Hemden.

Der Benediktinermarkt in der Klagenfurter Innenstadt, zwölf Tage vor der Entscheidung. Von Wahlkampf ist kaum etwas zu spüren: Die Parteien haben vereinbart, auf Plakatwerbung im Großen und Ganzen zu verzichten. Nur FPK-Landeshauptmann Gerhard Dörfler lächelt trotzdem von Werbeständern.

Kaum jemand hier weiß, wen er wählen wird, die Politikverdrossenheit ist noch größer als anderswo. In fast jedem Gespräch fällt der Standardspruch: »Es sind doch eh alle korrupt.« Wer nach Wolfgang Waldner fragt, blickt in ratlose Gesichter: »Wer ist das?«

Auch der Student, der in Waldners Begleitung in einer knallgelben Jacke Wahlprospekte, Streichholzschachteln und Zuckerln verteilt, kennt dessen Namen erst seit Kurzem.

Dabei kann sich die Bilanz des Neuen in der Regierung durchaus sehen lassen: In seinen ersten sechs Monaten trieb er etwa Geld für eine KZ-Gedenkstätte und für die Rettung der von Schimmel befallenen Bestände des Landesmuseums auf – zwei Projekte, bei denen zuvor lange nichts weitergegangen war.

Wolfgang Waldner gilt als ruhig und sachlich, als jemand, der alles ganz genau wissen will, bevor er sich eine Meinung bildet. Damit komme er bei vielen Kärntnern – auch innerhalb der eigenen Partei – nicht gut an, gestehen selbst seine Unterstützer. Waldner läuft Gefahr, als abgehoben, als zu intellektuell zu erscheinen. Die rechten Parteien tun ihr Bestes, diesen Ruf zu festigen. »Er versteht die Kärntner Seele nicht«, sagt etwa FPK-Obmann Kurt Scheuch, der Mann fürs Grobe bei den Haider-Nachfolgern, und meint damit wohl auch dessen Sprache. Man hört es Waldner kaum mehr an, dass er als Sohn eines Gendarmen im Gailtal aufgewachsen ist, nur hin und wieder lässt es sich erahnen, wenn ein hochdeutsches »ch« als »h« aus seinem Mund kommt.

Jetzt tingelt der Globetrotter auf Stimmenfang durch die Lande. Etwa in das Test- und Ausbildungszentrum der Wirtschaftskammer, wo Jugendliche ihre Eignung für verschiedene Lehrberufe testen lassen können. Waldner, mit einem Landeswappen-Ansteckknopf am dunklen Anzugrevers, lässt sich von einem Burschen im Kapuzenpulli die Werkbank erklären. Dann stellt er sich neben einen jungen Mann in einem gestreiften Leibchen, doch der blickt nicht einmal hoch. Der Wahlkämpfer nagt kurz an seinen Lippen und geht weiter. Wer der elegante Herr da eben war, das wissen die Jugendlichen nicht. Der im gestreiften Shirt deutet auf das Foto von Gabriel Obernosterer im Wahlkampf-Flyer: »Aber den da kenn ich.«

Waldner und Obernosterer kommen aus verschiedenen Welten und unterschiedlichen Flügeln der ÖVP. Der Gastwirt Obernosterer in seiner braunen Steppjacke, mit seinem knarrigen Dialekt und seinem derben Lachen, ist ein bodenständiger Konservativer und soll die Kernwähler der Partei ansprechen. Waldner hingegen mit seiner bedächtigen Redeweise und seinem gepflegten, eher wienerisch gefärbten Deutsch gilt als weltgewandter Liberaler. Viele könnten ihn sich bei den Grünen vorstellen, auch deren Kärntner Chef Rolf Holub. »Wenn ihn die ÖVP nicht mehr will, gebe ich ihm gern Asyl«, sagt er.

Aber Waldner – im Jahr 2002 Fürsprecher einer schwarz-grünen Regierung – fühlt sich in seiner Partei daheim. Die Werte der ÖVP seien auch die seinen. »Fleiß, Leistung, Eigentum, Eigenverantwortung«, zählt er auf. Er spricht sich gegen den »Missbrauch des sozialen Netzes« und gegen den »Anreiz, die anderen auszunützen«, aus und klingt dabei ganz nach Parteilinie.

Nach der Wahl will die ÖVP mit SPÖ und Grünen eine Koalition bilden; alle haben ausgeschlossen, eine FPK-Regierung zu unterstützen. Landeshauptmann einer rot-schwarz-grünen Regierung würde wohl SP-Chef Peter Kaiser werden, den Waldner regelmäßig um sechs Uhr früh beim Joggen am Lendkanal in Klagenfurt trifft. Auch Waldner würde sich den Job zutrauen, doch bei Umfragewerten von 10 bis 13 Prozent für die ÖVP sind solche Überlegungen ein wenig wirklichkeitsfremd.

Der vierte und letzte Wahlkampfauftritt des Tages führt Waldner in das Museum Moderner Kunst Kärnten. Hier ist er auf sicherem Terrain, er zitiert Ingeborg Bachmann und Dante und wird verstanden. Einer der anwesenden Künstler, kein Anhänger der Volkspartei, wird nachher sagen, er habe Waldner als blutleer und unaufmerksam empfunden, dessen Antwort auf seine Fragen als nichtssagend. Dass sich ein Landespolitiker aber ernsthaft mit Kunst beschäftigt, sind die meisten hier gar nicht mehr gewohnt. »Mir wird wohl nichts anderes übrig bleiben, als ihn zu wählen«, sagt der Künstler.

Auch in der slowenischen Volksgruppe könnte Waldner punkten. Er hat als Landesrat Initiativen der Kärntner Slowenen unterstützt, hat die verschuldete slowenische Musikschule mit Geld aus dem Budget seines Ressorts vorläufig vor der Schließung bewahrt. Nicht mehr als symbolische Gesten, aber viel mehr, als freiheitliche Politiker bis dahin bereit waren zu tun.

Als der Wechsel des Reisediplomaten in die politische Landesliga bekannt wurde, spekulierten manche, er sei »strafversetzt« worden. Das stimme nicht, beteuert Waldner: Er wolle einfach etwas für sein Land tun. »Ich war der erste Exilkärntner, der direkt in die Landesregierung wechseln konnte«, sagt Waldner. »Hätte ich Nein gesagt, hätte ich das Recht verspielt, zu kritisieren, was im Land vorgeht.«

Aber was, wenn die ÖVP – ein durchaus realistisches Szenario – bei der Wahl ihren einzigen Regierungssitz verliert? Endet der Mann, der Barack Obama die Hand schüttelte, dann als Abgeordneter im Kärntner Landtag? Waldner lacht: »Um mich braucht man sich keine Sorgen zu machen.« Ist der Regierungssitz weg, ist auch er weg, das hat er bereits angekündigt. Kennt man seine Optionen, wird die Heldengeschichte vom Mann, der auszog, seinem Land zu dienen, weniger heldenhaft: Scheitert Waldner in Kärnten, kann der karenzierte Beamte jederzeit ins Außenministerium zurückkehren und warten, bis der nächste Botschafterposten frei wird. Demnächst werden etwa die Vertretungen in Rom und Berlin neu besetzt. Dann wäre der Aushilfskärntner wieder in seiner Welt daheim.

Die Zeit (Österreich-Ausgabe), 28.2.2013

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