Lärm, Geplärr und ein paar Raufereien

Anrainer protestierten vor einem Jahr gegen die Eröffnung von Ute Bocks Flüchtlingsheim. Wie ist es heute?

Eine wütende Frauenstimme hallt durchs Treppenhaus. „Wenn der noch einmal so rausgeht, dann hol ich die Polizei“, flucht Ute Bock. „Der“ ist ein verwirrter Mann, der zuweilen in Unterhosen auf die Straße geht – der zurzeit schwierigste Klient der Flüchtlingshelferin. Er ist einer von 70 Flüchtlingen und Asylwerbern, die seit einem Jahr in der Zohmanngasse im zehnten Wiener Bezirk leben, im neuen alten Haus von Ute Bock.

Bis 1999 leitete Bock hier ein Gesellenheim, in dem sie schwierige Jugendliche betreute, darunter auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge. Nach einer Drogenrazzia, bei der Heimbewohner verhaftet wurden, wurde Bock suspendiert. Als sie Jahre später öffentlich machte, dass sie – inzwischen zur wichtigsten Flüchtlingshelferin der Nation avanciert – mit finanzieller Unterstützung des Bauunternehmers Hans Peter Haselsteiner zurückkehren würde, machten die Anrainer dagegen mobil. Unterstützt wurden sie von der FPÖ, die mit Stammtischen und hetzerischen Karikaturen Stimmung gegen sie machte.

Inzwischen ist Leben in das orange gestrichene Eckhaus in der Zohmanngasse eingezogen. Wo vor einem Jahr noch kahle weiße Wände auf Bewohner warteten, hängen jetzt Fotos von Flüchtlingen, es riecht nach dem Brot, das eine große Bäckereikette regelmäßig nach Betriebsschluss vorbeibringt. „Die Probleme mit den Nachbarn sind überschaubar. Die, die mich nicht wollen, sind halt gegen alles“, sagt Bock. „Die eine beschwert sich, wenn spätabends das Licht brennt – die andere sagt, überall sind die Rollos unten, damit man nicht sieht, wie viele hier schlafen.“

Vom Ende des Ganges im ersten Stock ertönt das Glucksen eines Kleinkindes. Ein Buggy steht dort, ein notdürftig befestigter blauer Vorhang trennt eine kaum vier Quadratmeter große Fensternische vom Gang ab. Dahinter sitzt eine Frau mit rosa Kopftuch auf einer Matratze am Boden und spielt mit ihrem Kind. Die kleinen Zimmer des Hauses sind für alleinstehende Männer gedacht, doch immer wieder tauchen Familien hier auf, die ohne Bocks Hilfe auf der Straße stehen würden. Insgesamt leben derzeit etwa 100 Menschen hier.

Ihre wegen der „plärrenden“ Kinder strapazierten Nerven sind die wohl einzige Gemeinsamkeit zwischen Ute Bock und Maria Wabl. Wabl ist eine jener Nachbarinnen, die letztes Jahr den Protest der Favoritner gegen Bock anführten. Ihren echten Namen wollte sie weder damals noch heute in der Zeitung lesen. Ihre Befürchtungen, dass „die Asylanten“ ihr etwas antun könnten, haben sich bisher nicht bewahrheitet – aber sie ärgert sich trotzdem: „Die ganze Gegend ist dreckig, sie nutzen unsere Einfahrt als Aufenthaltsraum und telefonieren unter unseren Fenstern“, klagt Wabl. „Wenn man anruft, hebt nie ein Mensch ab.“ Letzteres bestätigt eine Anrainerin, die nichts gegen Ute Bocks Klienten hat, aber ebenfalls unter dem Lärm leidet.

„Beschwerden über Lärm gibt es immer wieder, die haben wir aber auch entlang der Fußgängerzone“, sagt Michael Lepuschitz von der Polizei Favoriten: „Ute Bock hat aus früheren Erfahrungen offenbar gelernt, sie verhält sich sehr vernünftig und kooperativ.“ Ein paarmal waren Flüchtlinge an Raufereien beteiligt, einmal an einer Messerstecherei; Übergriffe auf Anrainer sind nicht bekannt. „In Summe gibt es deutlich weniger Vorfälle, als ursprünglich vermutet wurde“, sagt Lepuschitz, „und weniger als in manch größerem Bau in Favoriten.“

Falter, 22.5.2013

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