Die SPÖ hofft im EU-Wahlkampf auf den Eugen-Freund-Effekt. Auf der Straße funktioniert er noch nicht ganz
Eugen Freunds Wahlkampftross hat es eilig. „Ganz schnell noch ein Händedruck“, sagt Freund halb zum Team, halb zu der Bankangestellten, deren Hand er gerade schüttelt, „tut mir leid, aber wir sind schon am Sprung.“ Schon ist er wieder draußen aus der Bankfiliale am Hauptplatz der niederösterreichischen 12.000-Einwohner-Stadt Neunkirchen.
Knapp eine Stunde Zeit hat der SPÖ-Spitzenkandidat hier am vergangenen Freitagvormittag, um Wähler für die EU-Wahl zu gewinnen. Davor hat er eine Lehrwerkstätte im benachbarten Ternitz besucht, danach geht es direkt weiter nach Linz, zum Wahlkampfauftakt mit dem EU-Abgeordneten Josef Weidenholzer.
Freund hat einiges gutzumachen in diesem Wahlkampf, der für ihn so holprig gestartet ist. Seine Kandidatur wurde früher als geplant bekannt, ausgerechnet während seiner Abschiedsfeier als Moderator der ORF-Hauptnachrichtensendung „Zeit im Bild“. Bald darauf sorgte ein Profil-Interview für Empörung, in dem der frischgebackene Sozialdemokrat ein durchschnittliches Arbeitergehalt auf 3000 Euro brutto schätzte. Tatsächlich lag es 2012 selbst bei Vollzeitbeschäftigten nur bei knapp 2200 Euro.
„Es gab noch vier andere Interviews an diesem Tag, die tadellos waren, über die hat niemand gesprochen“, sagt Eugen Freund heute dazu. Aber: „Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, diesen Wechsel von einem Beruf in den anderen in so kurzer Zeit zu vollziehen.“ Jetzt hingegen laufe der Wahlkampf rund, sagt Freund. Er mache ihm Spaß, er fühle sich sicher und lasse sich nicht mehr „von Querschüssen irritieren“. Das dauernde Angesprochenwerden falle ihm leichter als anderen Neo-Politikern, er sei es ja schon aus dem alten Job gewohnt.
Nach dem desaströsen Start bemüht sich Freund nun um Volksnähe. Er hat Zahlen gepaukt, in seinen Reden spricht er von der Jugendarbeitslosigkeit und den enormen Summen, die dem Staat durch Steuerhinterziehung entgehen. Die EU solle sich nicht in Debatten über Olivenölkännchen verzetteln, sagt er, „der Zug, der durch Europa fährt, muss wieder in den Bahnhöfen stehen bleiben und die Leute mitnehmen“. Freund spricht ruhig, gewählt, mit sanfter Stimme, manchmal ein wenig monoton. Bewegung gerät in seine Sprache, wenn er von der FPÖ spricht und davon, dass jede Stimme für sie eine verlorene Stimme sei.
Über dem Hauptplatz von Neunkirchen hängt ein grauer Himmel, nur wenige Menschen sind zu sehen. Freund zieht also von der Bank direkt weiter ins Stadtcafé Holzinger ein paar Häuser weiter. Dunkle Holztische und bordeauxrote Polstersessel auf rotgeblümtem Teppichboden, gleich beim Eingang eine Vitrine mit Mehlspeisen. Einer Gruppe von fünf Männern erklärt Freund, er wolle „weg von den Konzernen“, hin zu einem „sozialeren Europa“.“Jetzt hab ich Sie überzeugt, oder?“, fragt er halb scherzhaft einen von ihnen, wendet sich zum Assistenten für den obligaten Flyer und ein Feuerzeug und verpasst dabei die Antwort des Mannes: „Sicha bin i ma no ned.“
Freund schüttelt noch ein paar Hände, überreicht weitere Flyer, dann geht es weiter, schnell, schnell, ein Foto vor der Pestsäule, dann eiligen Schrittes die Straße entlang, vorbei am Hartlauer, am Eduscho, am Fahrradgeschäft, bald beginnt die Pressekonferenz für die Vertreter der Lokalblätter im Einkaufszentrum Panoramapark.
Bei seinen Versuchen, zwanglos ins Gespräch zu kommen, spürt man noch Freunds fehlende Übung beim Wahlkämpfen. „Ich sehe, Sie haben sich ein Medikament geholt?“, fragt er vor der Apotheke einen Mann. Er übersieht Menschen, die für ihn stehen bleiben, und hält bei anderen, die wenig mit ihm anzufangen wissen. „Kann ich jetzt weitergehen?“, fragt eine ältere Dame einen Mitarbeiter, als Freund sich wieder einmal nach Werbematerial umdreht. Ehe es sich das Wahlkampfteam versieht, ist sie schon weg. Routinierteren Politikern gelingt es, sich auch in kurzen Handshake-Gesprächen ihre knappe Zeit nicht anmerken zu lassen; Freund steht der Zeitdruck ins Gesicht geschrieben.
SPÖ-Stammwähler, vor allem ältere, kann Freund überzeugen: „Er ist klug, versucht alle anzusprechen und kennt Europa, nicht nur emotional, sondern auch rational“, heißt es da, oder: „Ich finde ihn sehr angenehm, er geht auf die Menschen zu.“
Auch bei anderen Menschen kommt Freund gut an, „sehr nett“, sagen die meisten, wenn man sie später nach ihm fragt; einen tieferen Eindruck aber hinterlässt er nur selten. Wohl auch, weil er seine Bekanntheit überschätzt. Die Strategie der SPÖ, mit einem bekannten Gesicht in den Wahlkampf zu ziehen, scheint nur bedingt zu funktionieren: Freund geht davon aus, dass er sich nur zeigen muss, um sich und die Partei den Menschen für die EU-Wahl ins Bewusstsein zu rufen. Aber obwohl er zweieinhalb Jahre lang fast jeden Tag die „Zeit im Bild“ moderiert hat, haben viele Menschen keine Ahnung, wer der große, dünne Mann in schwarzen Jeans, kariertem Hemd und Sakko ist, der ihnen da die Hand schüttelt.
Das zeigt sich nicht nur in Neunkirchen, es war auch zwei Tage zuvor an der Technischen Universität Wien zu beobachten, wo Freund ein Symposium der Stadt-SPÖ eröffnete: Weder die Arbeiter auf Rauchpause, die er im Vorbeigehen grüßte, noch die Architekturstudenten, denen er Schokolade schenkte, konnten Freund zuordnen.
Zurück in Neunkirchen, Freitagvormittag, Eugen Freund ist bereits unterwegs nach Linz, auch die meisten Kaffeehausgäste von vorhin sind weitergezogen. Zwei Frauen, denen Freund die Hand geschüttelt hat, sind noch da, Mutter und Tochter, aus Wiener Neustadt zum Stadtbummel hierhergekommen. „Sehr nett“ ist ihnen Freund erschienen. „Aber wenn ich nicht das hier bekommen hätte“, sagt die Tochter, 29, und deutet auf den Flyer auf dem Tisch, „hätte ich nicht gewusst, wer das war.“ Mit der EU-Wahl haben sich die Frauen noch nicht auseinandergesetzt. „Wenn ich jetzt wählen müsste, würde ich ihn wählen“, sagt die Mutter, 61, „weil ihn kenne ich jetzt.“
Herr Freund, …
… im Internet wurde gerätselt, wem eigentlich die Hand auf Ihren Plakaten gehört? Das ist natürlich meine eigene Hand
… der schönste Ort in Europa? Venedig
… der hässlichste Ort in Europa? Der Zaun in Ceuta, wegen der Symbolik
… die drei besten Bücher über Europa? Raimund Löw/ Cerstin Gammelin: Europas Drahtzieher; John Keegan: The First World War; Frederic Morton: A Nervous Splendor
Falter, 30.4.2014
Alle EU-Wahlkampfreportagen:
2. Eine Grinsemaschine auf Tour – unterwegs mit Othmar Karas (ÖVP)
3. Der Star, das ist ein anderer – unterwegs mit Harald Vilimsky (FPÖ)
4. Die Sanfte und die Schrille – unterwegs mit Ulrike Lunacek (Grüne) und Angelika Mlinar (Neos)