Othmar Karas hat 40 Jahre Übung im Wahlkämpfen. An arbeitslosen Jugendlichen scheitert aber auch er
Othmar Karas ist eine Wahlkampfmaschine. Händeschütteln, Lächeln. „Grüß Gott, ich bin Othmar Karas, Europaabgeordneter.“ Händeschütteln, Lächeln. „Grüß Gott, mein Name ist Othmar Karas, das auf dem Flyer bin ich.“
Dank des Pulks an Assistenten, Reportern und Fotografen, der Karas umgibt, sind die schmalen Gänge des Naschmarkts noch verstopfter, als sie es an diesem sonnigen Mittwochmittag ohnehin wären, aber Karas, Spitzenkandidat der ÖVP für die EU-Wahl, schiebt sich unverdrossen-routiniert durch das Gedränge. Sein Assistent instruiert derweil die Flyerverteilerinnen in den gelben T-Shirts, nicht vor den geschüttelten Händen zu stehen, der Fotos wegen.
Karas hat Übung im Wahlkämpfen, das fällt besonders stark im Vergleich zum Neo-Politiker und SPÖ-Spitzenkandidaten Eugen Freund auf, den der Falter vergangene Woche auf einer ähnlichen Tour begleitet hat. Nie ist Karas um eine passende Einstiegsfrage für ein Gespräch verlegen, nie lässt er sich den Zeitdruck anmerken.
Hält ihm eine Radioreporterin das Mikrofon unter die Nase, formuliert er ansatzlos ein druckreifes Statement; lässt ihn ein Händler Sesamkörner verkosten, bietet er – Foto! – den Teller sofort den Touristinnen dar, die gerade das Geschäft betreten haben. „Er hat gegrinst wie eine Grinsemaschine, aber es hat nicht aufgesetzt gewirkt“, sagt danach ein junger Mann über Karas.
Wie auf seinen Plakaten, die ohne ÖVP-Logo auskommen, gibt sich Karas auch in den Gesprächen als überparteilicher Proeuropäer. „Ich bitte Sie, an der Wahl teilzunehmen und, wenn es irgendwie geht, mich zu unterstützen“, so lautet sein Sprüchlein. Seine Partei erwähnt er nie, betont stattdessen ohne Unterlass, wie „anders“ er sei.
Die ÖVP lässt ihn gewähren. Bei der letzten EU-Wahl hatte sie dem als kompetent, aber fad geltenden Sachpolitiker Karas, Schwiegersohn von Ex-Präsident Kurt Waldheim, den inzwischen in erster Instanz wegen Bestechlichkeit verurteilten Ex-Innenminister Ernst Strasser als Spitzenkandidaten vorgezogen. Karas sammelte daraufhin 113.000 Vorzugsstimmen. Er überlegte, 2014 mit einer eigenen Liste anzutreten -keine schlechte Ausgangslage, um der ÖVP die Unterstützung für einen Persönlichkeitswahlkampf ohne Parteilogo abzuringen.
EU-Skeptikern versucht Karas den Wind aus den Segeln zu nehmen, indem er Kritik an der EU selbst anspricht. Das gelingt nicht immer: Den schnurrbärtigen Mann, der ihn mit dem Satz „Verarschts uns ned“ begrüßt, kann er nicht überzeugen. Die Würstelstandlerin mit dem pinken Schal schon eher. „Viele Politiker sagen nur ‚Hallo‘, das war’s“, sagt sie. Karas hingegen gehe „wirklich auf die Leute zu“, wirke sympathisch und vertrauenswürdig.
Fragt man Othmar Karas, wie oft er schon wahlgekämpft hat, muss er selbst nachzählen. Seine siebte österreichweite Kandidatur ist es, ab 1983 dreimal Nationalrat, seit 1999 viermal EU-Parlament. Sein allererster Wahlkampf ist aber noch viel länger her: 1966, da war er acht Jahre alt, sei er mit seinem Vater, dem Bezirksparteiobmann von Ybbs an der Donau, durch den Ort gezogen, „den Kleisterkübel in der Hand“, und habe Josef-Klaus-Plakate auf Dreieckständer geklebt.
Nun, fast fünf Jahrzehnte später, sitzt Karas in einer kurzen Pause zwischen zwei Terminen in einem schwarzen Lederfauteuil in seinem Büro im Haus der EU in der Wiener Innenstadt, ein kahler Raum, grauer Teppichboden, ein fast leerer Schreibtisch. Karas hat seine Brille abgelegt und mit ihr auch das Dauergrinsen vom Naschmarkt. Plötzlich merkt man ihm die Anstrengung des Wahlkampfs an, er kneift die Augen zusammen, hustet, die Hustenzuckerln sind im Auto, hoffentlich hält die Stimme. Seit acht Uhr ist er heute unterwegs, Interviews, dann eine Besprechung, wegen der er 20 Minuten zu spät am Naschmarkt war; nun folgen ein Termin mit Jugendlichen und ein Business Circle in Baden.
Der Wahlkampf mache ihm Spaß, sagt Karas: „Es gibt keine Begegnung, die nicht bereichernd ist.“ Der schwerste Termin sei die Pressekonferenz nach seiner Nominierung gewesen. „Die Spitzenkandidatur mit meinem wichtigsten Gut, meiner Glaubwürdigkeit, zu vereinbaren“ sei nicht einfach.
Jetzt ist Karas schon wieder zu spät dran, also ab zum Dialogforum der Bundesjugendvertretung – wie sich zeigen wird, auch kein einfacher Termin. Das vom Assistenten angebotene Sakko lehnt er ab, die schwarze Sweatweste, die er schon am Naschmarkt über dem weißen Hemd getragen hat, passt besser. Aus den Westenärmeln lugen große Manschettenknöpfe hervor, rotgrüne Steine in goldfarbener Fassung.
Im Erdgeschoß des Hauses der EU, in einem hellen Raum mit Holzboden und Glasdach, sollen Jugendliche und Vertreter aller Parteien ihre Gedanken zu sieben Themen auf Plakate schreiben. „Wichtigste Aufgabe“, notiert Karas in einer runden Schulmädchenschrift zum Thema „Jobs für junge Leute“; zu „Europa ohne Grenzen“ fällt ihm „Sicherheit!“ und „Chance?“ ein.
Die Kandidaten werden zum Wordrap auf die Bühne gebeten, Karas steht in der Mitte, die Hände in den Jeanstaschen, und wippt auf den Zehen vor und zurück. Welches Tier ist die EU? „Ein Känguru, das weit springt.“ Was war Ihnen mit 16 am wichtigsten?“Fußball und die Matura.“ Die wichtigste Aufgabe des Europaparlaments? „Dass es keine Entscheidung ohne das Europaparlament gibt.“
Zuletzt sollen die Kandidaten an runden Tischen je zehn Minuten lang mit Gruppen von Jugendlichen diskutieren, Themen frei wählbar. „Hallo, ich bin der Othmar“, stellt sich Karas jeder Runde vor. Er zeigt auch hier Interesse, fragt nach den Alltagssorgen seiner Gesprächspartner.
Bei den Maturanten und Studenten im Raum kommt er ganz gut an. Eine große Gruppe von Jugendlichen aber ist mit einem AMS-Projekt hier. Karas bemüht sich auch um sie, er spricht noch langsamer als sonst und versucht, sich einfach auszudrücken; aber zu ihnen vorzudringen gelingt ihm kaum. „Was fällt Ihnen ein, wenn Sie ‚Europaparlament‘ hören?“, fragt er einen der Burschen. „Ich bin gegen Politik und gegen Wahlen“, antwortet der, und zum ersten Mal an diesem Tag bleibt der Wahlkampfmaschine die Spucke weg.
Herr Karas, …
… warum ist auf Ihren Plakaten kein ÖVP-Logo zu sehen? Weil ich mich nicht auf die Partei reduziere, meine Funktion als Vizepräsident des Europäischen Parlaments eine parteiübergreifende ist und ich immer über Parteigrenzen hinweg für die Sache arbeite
… der schönste Ort in Europa? Wien
… der hässlichste Ort in Europa? Jeder Ort hat seine Reize
… die drei besten Bücher über Europa? Ludger Kühnhardt/Hans-Gert Pöttering: Kontinent Europa – Kern, Übergänge Grenzen; Wolfgang Schmale: Mein Europa; Peter Filzmaier/Peter Plaikner/Christina Hainzl/Daniela Ingruber/Karl A. Duffek: Wir sind EU-ropa
Falter, 7.5.2014
Alle EU-Wahlkampfreportagen:
1. Vom Bildschirm auf die Straße – unterwegs mit Eugen Freund (SPÖ)
3. Der Star, das ist ein anderer – unterwegs mit Harald Vilimsky (FPÖ)
4. Die Sanfte und die Schrille – unterwegs mit Ulrike Lunacek (Grüne) und Angelika Mlinar (Neos)