Die Sanfte und die Schrille – EU-Wahlkampfreportage # 4

Ulrike Lunacek und Angelika Mlinar kämpfen bei der EU-Wahl um dieselbe Wählerschicht.

Mausi Lugner versteckt sich. Mit Angelika Mlinar, der Neos-Spitzenkandidatin für die EU-Wahl, will die Societylady nicht auf Fotos zu sehen sein. Es ist ein sonniger Samstagnachmittag, „Mailüfterl“-Straßenfest am Rande von Floridsdorf, wo Wien schon aus Äckern und Heurigen besteht. Mausis Freunde plaudern mit Mlinar. „Schön, dass Sie da sind“, sagt die Frau, hinter deren Rücken sich Mausi verbirgt. Dann ziehen Mlinar und ihr Trupp hügelaufwärts. Schnell und zielstrebig gehen sie, die Eröffnung beginnt bald, fürs Händeschütteln bleibt wenig Zeit.

Ganze Bündel an Luftballons haben viele Menschen hier in der Hand, Wahlgeschenke in Rot, Blau, Pink und dem Gelb, das die ÖVP verwendet, wenn Schwarz zu trist ist. Nur die Grünen sind nirgends zu sehen. Für sie gibt es hier wohl zu wenig zu holen, ihre Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek mischt sich an diesem Tag lieber auf dem Karmelitermarkt und bei einem Kinderflohmarkt in Döbling unters Volk.

Lunacek und Mlinar kämpfen bei dieser Wahl um dieselbe Wählerschicht, genauer gesagt: Mlinar macht Lunacek einen Teil ihrer Wähler streitig. Ehemalige Grüne, die wirtschaftsliberal denken oder einfach die pinke Frische toll finden, wandern ab.

Ähnlich war es bei der Nationalratswahl 2013. Der Unterschied: Die Grünen versuchen die Neos nun nicht mehr wegzuschweigen, sondern grenzen sich aktiv von ihnen ab. „Durch die Angriffe waren die letzten Wochen auch emotional anstrengend“, sagt Mlinar, als sie nach der Mailüfterl-Eröffnung auf der Terrasse eines Heurigen auf ihr Blunzngröstl wartet, und zitiert einen Gandhi zugeschriebenen Spruch: „First they ignore you, then they laugh at you, then they fight you, then you win. Wir sind in der Then-they-fight-you-Phase.“

Drei Tage später, Mödling. „Ulrike, Eva, Madeleine und das Grüne Team in der Fußgängerzone unterwegs“, stand auf der Parteiwebsite. Parteichefin Eva Glawischnig und Spitzenkandidatin Ulrike Lunacek sind ein eingespieltes Team. Madeleine Petrovic, die in Niederösterreich um Vorzugsstimmen kämpft, hält sich etwas abseits.

In einem Geschäft kauft Glawischnig umringt von Kameras und Mikrofonen einen Fair-Trade-Fußball, Lunacek tritt hinzu: „Hallo Eva, hast du ein Geburtstagsgeschenk gekauft für deinen Sohn?“ „Ja“, sagt Glawischnig, „du kennst ja meine Antipathie gegen das, was in Katar passiert.“ Es entspinnt sich – ganz spontan natürlich – ein Dialog über Missstände bei den Olympischen Spielen in Sotschi und der Fußball-WM in Katar, Glawischnig spielt dabei fotogen mit dem Ball.

Für die 43-jährige Juristin, ehemalige EU-Mitarbeiterin und Unternehmerin Mlinar ist es erst der zweite größere Wahlkampf: Im Jahr 2009 wurde sie Chefin des Liberalen Forums, 2010 kandidierte sie erfolglos für den Wiener Gemeinderat, erst im Herbst zog sie für die Neos in den Nationalrat ein. Die 13 Jahre ältere Lunacek hingegen ist das Wahlkämpfen gewöhnt. Von 1995 bis 2008 kandidierte die studierte Dolmetscherin bei jeder Nationalratswahl, nun ist sie zum zweiten Mal EU-Spitzenkandidatin.

Trotzdem ist Lunacek relativ unbekannt. Die Verkäuferin in einer Boutique, die der grüne Wahlkampftross stürmt, erkennt sie nicht, obwohl „immer schon Grünwählerin“. Eine Frau in einer karierten Bluse hingegen ist mit ihrem kleinen Sohn extra wegen Lunacek nach Mödling gekommen und nach einem Gespräch mit ihr ganz begeistert. Im Fernsehen komme Lunacek bieder rüber, im Gespräch sei sie ihr aber „warm, menschlich und herzlich“ erschienen: „Ich hatte das Gefühl, sie hat richtig mit mir geredet und nicht nur irgendwelche Sätze gesagt.“

Auf dem Rückweg zum knallig bemalten Tourbus der Grünen spricht eine ältere Frau Lunacek an: „Ich habe euch immer gewählt“, sagt sie: „Aber dieses Anprangern ist unmenschlich.“ Sie meint das Plakat mit dem Meuchelfoto des nicht rechtskräftig verurteilten Ex-ÖVP-Europaabgeordneten Ernst Strasser. Darauf werde sie oft angesprochen, sagt Lunacek und versucht zu argumentieren, wie schlimm Strassers Verhalten gewesen sei. Dann würgt Glawischnig das Gespräch ab: „Ich verstehe, dass Sie es eine Spur zu hart finden. Sie können sicher sein, für die Schwachen stehen wir immer ein.“

Die Frau in der Lederjacke ist nicht die Einzige, die die grüne Kampagne stört, und das Strasser-Plakat nicht das einzige, das für Kritik sorgt. Der pinken Konkurrenz begegnen die Grünen und ihr Kampagnenleiter, der ehemalige Ö3-Mann Martin Radjaby, mit Werbung, die frisch und frech wirken soll. Viele Sympathisanten aber empfinden das Gurkenkrümmungsplakat als populistisch und das Mädchenmagazin Eva sowie die Zeichentrickspots, in denen eine klassenstreberhafte Eva Glawischnig die als grenzdebil gezeigten anderen Parteichefs schulmeistert, als infantil.

„Ich wäre mit 16 froh gewesen über ein Bravo, wo auch politische Sachen drinnen sind“, sagt Lunacek, wenn man sie auf das Heft anspricht. Sie sitzt im grünen Tourbus, draußen ziehen im Regen die Felder und Einfamilienhäuser Niederösterreichs vorbei, drinnen tippen Mitarbeiterinnen auf Laptops und iPads. Dass Teeniehefte wie Bravo eher von Zwölf- als von 16-Jährigen gelesen werden, ist Lunacek nicht bewusst.

Wie die Grünen versuchen auch SPÖ und ÖVP, von der EU frustrierte Wähler anzusprechen, ohne antieuropäisch zu klingen. Die Neos wollen sich davon mit offensiver EU-Begeisterung abheben. „Wir lieben Europa“, sagen sie bei jeder Gelegenheit.

Im Jänner war das noch anders. „Unsere Haltung zur EU ist: Ja, aber. Damit positionieren wir uns anders als die anderen Parteien“, sagte Mlinar da im Presse-Interview. Spricht man sie heute darauf an, erklärt sie: „Im Jänner waren wir noch auf die Fusion von LIF und Neos konzentriert, vielleicht hatten wir da noch nicht den Mut, uns so klar proeuropäisch zu positionieren.“

Was für Lunacek das Strasser-Foto, das ist für Mlinar die Wasserprivatisierung. Beim Mailüfterl etwa erklären zwei ältere Damen einem Neos-Helfer, sie hätten überlegt, die Pinken zu wählen: „Aber die letzte Aussage mit dem Wasser, da ist es aus.“

Auch Robert, 28, hellblaues Hemd, Gelfrisur, fragt nach dem Wasser. „Kein Mensch will Wasser privatisieren, es geht um die Versorgung – darum, wie es zu den Menschen kommt“, sagt Mlinar. Dafür würden schon jetzt oft Genossenschaften sorgen.

„Warum konkret soll ich Sie wählen?“, fragt Robert. Man müsse „die EU als Chance für Menschen wie Sie begreifen“, antwortet Mlinar und packt ihn mit beiden Händen an den Oberarmen. Im Vergleich zu Lunacek mit ihrer eher leisen, tiefen und ruhigen Stimme hat Mlinar eine schrille Art. Ist sie überrascht, reißt sie Augen und Mund weit auf, ihre Stimme wird dann ganz hoch. Das wirkt spontan und unbefangen, manchmal auch ein bisschen unprofessionell. Im Gespräch mit Robert erzählt sie nun, dass sie selbst ohne EU nichts geworden wäre, spricht von Bildung und Austauschprogrammen, von Schuldenabbau und einem unternehmerischen Europa.

Überzeugen kann sie Robert nicht. Ihm gefalle das Auftreten der Neos, sagt der Bankangestellte später. Aber Mlinars Antworten seien ihm zu unkonkret gewesen und hätten ihn „eher davon abgebracht“, sie zu wählen.

In der Zielgruppe „unzufrieden, nicht rechts“ haben Lunacek und Mlinar nicht nur die jeweils andere als Konkurrenz. Stimmen kosten könnte beide auch Martin Ehrenhauser, 2009 auf der Liste von Hans-Peter Martin ins Europaparlament eingezogen und nun Spitzenkandidat des Bündnisses Europa anders, bestehend aus KPÖ, Piraten und Der Wandel. In Umfragen steht er bei drei Prozent, seine Sympathisanten kommen zu einem großen Teil aus dem Teich, in dem auch Neos und Grüne fischen.

Das war etwa bei einer Podiumsdiskussion in Graz vergangenen Samstag zu sehen, bei der ein sachlich, ernst und zurückhaltend auftretender Ehrenhauser erklärte, die Bankenrettung sei ein „großes Verbrechen“, die Sparpolitik „nicht die Lösung, sondern Teil des Problems“. Ein junger Mann im Publikum erzählte danach, er schwanke zwischen Neos, Grünen und Ehrenhauser; eine ältere Frau, ehemals Grünen-Mitglied, war schon „ziemlich sicher“, dass sie ihr Kreuz bei Ehrenhauser machen wird.

Frau Lunacek, …
… warum zementieren die Grünen auf Plakaten Anti-EU-Klischees ein?
Dieses Plakat ist ein Statement für Vielfalt bei Lebensmitteln und ein klares Nein zu „krummen Geschäften“, also fehlender Transparenz und dem unzulässigen Einfluss von Lobbyisten auf die EU-Gesetzgebung
… der schönste Ort in Europa? Europa
… der hässlichste Ort in Europa? Lampedusa – als Symbol der EU-Abschottungspolitik
… die drei besten Bücher über Europa? Annemarie Schwarzenbach: Insel Europa; Karl-Markus Gauß: Die sterbenden Europäer; die Reihe „Europa erlesen“ aus dem Wieser-Verlag

Frau Mlinar, …
… warum kopieren die Neos auf den Plakaten eine Kampagne von 2006? Die Ähnlichkeit ist frappant, war uns aber nicht bewusst. „Über den Tellerrand schauen“ ist ja ein gängiges Motiv in unserer Sprache und passt perfekt zur Weltoffenheit von NEOS.
… der schönste Ort in Europa? Nur einen nennen kann ich nicht, aber derzeit zieht es mich nach Bruxelles
… der hässlichste Ort in Europa? Lampedusa, als Synonym für den Umgang mit Flüchtlingen
… die drei besten Bücher über Europa? Mark Twain: Bummel durch Europa; Helmut Schmidt: Mein Europa; Daniel Cohn-Bendit et al.: Für Europa! Ein Manifest

 Falter, 21.5.2014
Mitarbeit: Gerlinde Pölsler

Alle EU-Wahlkampfreportagen:
1. Vom Bildschirm auf die Straße – unterwegs mit Eugen Freund (SPÖ)
2. Eine Grinsemaschine auf Tour – unterwegs mit Othmar Karas (ÖVP)
3. Der Star, das ist ein anderer – unterwegs mit Harald Vilimsky (FPÖ)

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