Von Schwarzgrün zu Pink

Mit Partizipation und pinken Sofas will Beate Meinl-Reisinger die Neos ins Rathaus führen

Es gibt ein Foto von jubelnden Menschen, das die Neos lange für ihre Onlineauftritte verwendet haben. Ganz vorn in der Mitte steht, nein: hüpft Beate Meinl-Reisinger. Sie trägt einen pinken Schal über dem blauen Kleid, ihre Haare sind zerzaust, ihre Augen geschlossen, ihr Mund zum Kreischen weit aufgerissen.

Das Foto wurde in der „Neosphäre“, dem Parteilokal der Neos, aufgenommen, Sekunden nach der Bekanntgabe der ersten Hochrechnung zur Nationalratswahl 2013. Es war der Moment, in dem feststand, dass die Partei ins Parlament einziehen würde. Der Boden der Neosphäre bebte an diesem Abend, Meinl-Reisinger weinte vor Freude.

Screenshot von neos.eu
Screenshot von neos.eu

Keine zehn Monate später, an einer Kreuzung in Wien-Rudolfsheim. Es ist neun Uhr früh, Autos röhren vorbei, Menschen hasten von der Straßenbahn zur U-Bahn-Station, vor dem McDonald’s trinken Arbeiter ihren Kaffee. Dazwischen: ein Infostand, zwei kleine pinke Sofas, pinke Sitzwürfel und Beate Meinl-Reisinger.

Schon wieder Wahlkampf, wenn auch noch nicht offiziell. 2015 wählen die Wiener einen neuen Landtag, und von Beate Meinl-Reisinger – bei den Nationalratswahlen noch im Schatten von Parteichef Matthias Strolz – hängt es ab, ob der Boden der Neosphäre danach wieder bebt.

Den Sommer über will die Landesparteichefin und Spitzenkandidatin mit dem Bürgerbeteiligungsprojekt „Pinke Bank“ durch die Bezirke touren. Wer stehenbleibt, wird um „Ideen für Wien“ gebeten, die Meinl-Reisinger und ihre Mitarbeiter auf quadratischen Kärtchen notieren. Sie wollen zeigen, dass die Neos im Fach Partizipation fleißiger sind als die Grünen, die das Thema bei der Mariahilfer Straße anfangs ungeschickt angingen.

Die Abgrenzung von den Grünen auf der einen Seite, von der ÖVP auf der anderen ist eine der größten Schwierigkeiten für die Neos. Meinl-Reisingers Geschichte steht beispielhaft für diese Mittelposition.

Sie wuchs in einer bürgerlichen Familie auf, die Eltern waren Ärzte, der Vater versorgte im Hainburger Spital verletzte Aubesetzer. Das erste Ereignis, das Meinl-Reisinger politisch prägte, war der Mauerfall, den sie als Elfjährige auf dem Röhrenfernseher im Wohnzimmer der Familie mitverfolgte. Die Mutter weinte, die Tochter verstand, „dass der Mauerfall Freiheit bedeutet“. Ein Satz, der von jedem ÖVP-Politiker kommen könnte.

Das zweite prägende Thema: der Aufstieg Jörg Haiders mitsamt Ausländervolksbegehren und Lichtermeer, die in ihrer AHS-Klasse im neunten Bezirk heftig diskutiert wurden. Ereignisse, die auch viele Grüne als politischen Erweckungsmoment angeben.

An der ÖVP gefallen Meinl-Reisinger die Betonung der Eigenverantwortung und die Unternehmerfreundlichkeit, an den Grünen Nachhaltigkeit und Gesellschaftsliberalität.

Aber auch an der SPÖ findet sie Gutes, und sogar an der FPÖ – nur bei deren Ausländerpolitik wird sie schon einmal laut. Bei einer Podiumsdiskussion mit Vertretern der anderen Landesparteien vor einigen Wochen etwa, als der FPÖ-Vertreter versuchte, in Wien lebende Serben und Türken gegeneinander auszuspielen. „Sie schüren Angst und bieten keine Lösungen an“, polterte Meinl-Reisinger da.

Beim ÖVP-nahen Forum Alpbach, wo sie auch Neos-Chef Matthias Strolz traf, gründete die Jusstudentin Meinl-Reisinger 2002 die „Initiative Schwarz-Grün“ mit, die sich für eine schwarzgrüne Koalition einsetzte. Warum also nun eine ganz andere Partei?

Bei der ÖVP hat Meinl-Reisinger es versucht. Im Jahr 2005, noch während der schwarz-blauen Koalition, wurde sie Mitarbeiterin des ÖVP-Europaabgeordneten Othmar Karas.

Sie wechselte zur Wirtschaftskammer, dann ins Kabinett von Familienstaatssekretärin Christine Marek, die wie Karas als eher liberale Schwarze gilt. In den Regierungsverhandlungen und beim Entwerfen des einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeldes habe sie „gesehen, dass man gestalten kann“, schwärmt sie.

Der Wendepunkt kam, als sie 2010 Marek in die ÖVP Wien folgte, deren Landeschefin diese wurde. Es war die Zeit, als die Wiener Partei auf Law and Order setzte und Sebastian Kurz im „Geilomobil“ durch die Stadt fuhr. Meinl-Reisinger ärgert sich heute noch, wenn sie davon erzählt.

Sie habe die Partei damals etwa auf die Probleme von Ein-Personen-Unternehmen aufmerksam gemacht. Die Antwort: Die wählen eh alle Grün. „Ich hab mir gedacht, dann halt nicht, dann konzentriert euch halt auf die Pensionisten“, sagt Meinl-Reisinger.

Damals habe sie gesehen, „wie verkrustet die Strukturen dort sind und wie überaltert“. Ohne diese Erfahrung, sagt sie, hätte sie wohl nicht Ja gesagt, als Matthias Strolz ihr 2012 auf der Terrasse des Café Stein nahe der Wiener Universität von der neuen Partei erzählte, die er gründen wollte.

Zunächst zögerte sie, ihre beruflichen Kontakte in der ÖVP zugunsten der Neos zu kappen. Dann siegte der Gedanke: „Ich bin zu jung, um mich zurückzulehnen in diesen Grundfrust, den viele Leute haben.“

Zurzeit baut Meinl-Reisinger die Strukturen der Wiener Landespartei weiter auf und spricht dabei – auch an jener Kreuzung in Rudolfsheim – immer wieder Frauen auf eine mögliche Mitarbeit an. Auf dass sich die Zusammensetzung des Parlamentsklubs, in dem sie derzeit die einzige Frau unter den neun Abgeordneten ist, im Rathaus nicht wiederhole.

Oft scheitere es an der Vereinbarkeit von Beruf, Familie und Politik, sagt Meinl-Reisinger. Sie kennt das Problem und erwähnt in Gesprächen gern ihre Kinder. „Gerade wenn man Frauen motivieren möchte“, sagt sie, „kommt man um die Frage der Vereinbarkeit nicht umhin.“

In Rudolfsheim ist es inzwischen 10.30 Uhr, Meinl-Reisinger macht sich auf den Weg zur U-Bahn. Auf den quadratischen Kärtchen, die sie ausgefüllt hat, geht es um die Abstimmung von Straßenbahn- und Busintervallen, um mehr Bäume in dieser Gasse und den schmutzigen Sand in jener Sandkiste. Zehn Monate nach ihrem Einzug ins Parlament ist Meinl-Reisinger in den Niederungen der Stadtpolitik angekommen.

Falter, 30.7.2014

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