Das Land der Befreiten

In abgelegenen Regionen Brasiliens kämpfen die Quilombolas, die Nachfahren entflohener Sklaven, um ihre Rechte.

17 Minuten hinter Teresina biegt der Jeep auf eine rötliche Schotterpiste ab. Bäume und Büsche säumen den Weg, ab und zu ein einzelnes Ziegelhäuschen, wir überqueren einen Bergpass, fahren mal auf festem Sand 50 Stundenkilometer, rumpeln dann wieder im Schritttempo über Geröll. Nach gut anderthalb Stunden hält der Jeep vor einem Lehmhaus mit Palmwedeldach, dahinter blüht leuchtend pink eine Bougainvillée, ein dünner alter Mann erscheint im Türrahmen: ›Wer ist da?‹

Wir befinden uns im zentralen Hochland von Brasilien, 340 Kilometer nördlich der Hauptstadt Brasília, 1.500 Kilometer nordwestlich von Rio de Janeiro, im Vão de Almas, einer der 39 Gemeinden des Quilombo Kalunga.

Ein Quilombo: Den Begriff kannte ich schon vor meiner Zeit in Brasilien. Ich hatte mich mit der afrobrasilianischen Kultur beschäftigt und wusste von den Siedlungen, die entflohene Sklaven und Sklavinnen im 16., 17., 18. Jahrhundert im schwer zugänglichen Hinterland gegründet hatten. Aber erst kurz bevor ich für drei Monate nach Brasilien zog, erfuhr ich, dass viele dieser Siedlungen bis heute existieren; dass dort die Nachfahren jener Menschen, die die Sklavenhändler aus verschiedenen Ländern Afrikas nach Brasilien verschleppt hatten, ihre eigene Kultur, ihre eigene Identität ausgebildet haben; dass die brasilianische Verfassung ihnen seit 1988 ein Recht auf kollektive Landtitel zugesteht, es bisher aber nur rund 200 der etwa 3.500 anerkannten Quilombos geschafft haben, sich einen solchen Landtitel zu erstreiten. Und ich sah ein Video, in dem der heutige Präsident Jair Bolsonaro 2017, im Vorwahlkampf, über die Bewohner der Quilombos spricht: ›Die Quilombolas machen gar nichts, sie taugen nicht einmal mehr zur Fortpflanzung‹, erklärt er unter dem Gelächter seines Publikums, ›der leichteste von ihnen wiegt sieben Arrobas‹. Sieben Arrobas, das entspricht ungefähr 105 Kilo – aber die Maßeinheit Arroba wird üblicherweise nur für Rinder und Schweine verwendet.

Ich will wissen, wie das Leben in einem Quilombo heute aussieht. Mitte 2019 fahre ich in den Quilombo Kalunga. Weiterlesen auf datum.at

Datum, Mai 2020

David Miranda auf einem Wagen auf der Pride Parade in São Paulo

Aus der Favela ins Parlament

Seit einem Jahr ist der Rechtsextremist Jair Bolsonaro Präsident Brasiliens. Aber es gibt auch ein anderes, ein linkes, ein progressives Brasilien. Für dieses steht der vielleicht unwahrscheinlichste Abgeordnete des nationalen Parlaments: David Miranda.

Als David Miranda am späten Nachmittag der Pride Parade von São Paulo, der angeblich größten Pride der Welt, oben auf einem Wagen steht, da wirkt er endlich wieder entspannt. Seine Rede hat er hinter sich gebracht, die Regenbogen­fahne auf seiner Wange ist verwischt, der Bart voll Glitzer von den vielen Umarmungen. Miranda tanzt, er lacht, er hüpft, er winkt den Menschen da unten, die ihm zukreischen, wirft ihnen Kusshände zurück. Er zittert nicht mehr wie am Vorabend im Auto. Drei der vier Leibwächter, die den ganzen Tag an ihm klebten und nervös die Menge scannten, sind gar nicht erst mit auf den Wagen gestiegen, und selbst der Ober­leibwächter gibt ihm jetzt ein bisschen Freiraum.

David Miranda, 34, ist der wohl unwahrscheinlichste Abgeordnete des brasilianischen Parlaments. Und ein persönliches Feindbild von Präsident Jair Bolsonaro. Weiterlesen auf republik.ch oder taz.de

Erschienen in der Republik, 2. Januar 2020, und der taz am Wochenende, 4./5. Januar 2020

David Miranda gibt auf der Pride Parade in São Paulo ein Interview

Radiobeitrag: Homophobie in Brasilien – David Mirandas Kampf für LGBT-Rechte

Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro verherrlicht die Militärdiktatur, findet Umweltschutz lächerlich, spricht abfällig über Frauen, Schwarze, Linke und hetzt gegen Homosexuelle. Aber neben dem ultrakonservativen Brasilien, das Bolsonaro bejubelt, gibt es auch ein progressives Brasilien, das sich nicht unterkriegen lassen will. Einer, der in der ersten Reihe mitkämpft für dieses andere Brasilien, ist der junge schwarze Politiker und LGBT-Aktivist David Miranda. Ruth Eisenreich hat ihn getroffen. Beitrag anhören in der Deutschlandfunk-Audiothek

Deutschlandfunk Nova, 29. November 2019

Studierende fordern auf einer Demonstration in São Paulo auf einem Transparent zur Verteidigung der Geisteswissenschaften auf

Schwachköpfe!

So beschimpft Brasiliens rechtsextremer Präsident Bolsonaro die Studenten. Er sieht die Universitäten als Hort der Linken und bestraft sie mit rigidem Sparkurs

Sabine Righetti hat schon einiges gesehen an den brasilianischen Universitäten. Gänge, die dunkel bleiben, weil das Budget der Uni keine neuen Glühbirnen mehr hergibt; Professorinnen, die den Müll wegbringen, weil das Reinigungspersonal eingespart wurde. Einmal, sagt Righetti, habe ein Biologe sie in sein Labor eingeladen, das zwei Jahre zuvor bei einem Gewitter überschwemmt worden war. „Die Geräte waren kaputtgegangen“, erzählt Righetti. Bis heute seien viele nicht repariert, der Kollege arbeite nun theoretisch.

Righetti ist Politikwissenschaftlerin und Bildungsforscherin, sie sitzt in einem Konferenzraum an der Unicamp, der Landesuniversität von Campinas im Bundesstaat São Paulo, wo sie lehrt. Es ist ruhig, ein später Vormittag am Semesterende. Die Kürzungen der Uni-Budgets begannen 2014, erzählt Righetti, noch unter der linken Präsidentin Dilma Rousseff, als Brasilien in eine Wirtschaftskrise rutschte. „2016 dachte ich: Jetzt sind wir am Grund des Brunnens angekommen – seither wurde es jedes Jahr schlimmer.“ Als dann der rechtsextreme Präsident Jair Bolsonaro im Januar sein Amt antrat, habe sich noch einmal etwas verändert. „Jetzt kommt zu den Finanzproblemen ein Ton der Bedrohung“, sagt Righetti. Weiterlesen auf Zeit Online

Die Zeit, 5. Dezember 2019