Seit einem Jahr gibt es in Österreich ein Integrationsstaatssekretariat. Was hat es bewirkt?
Beiger Linoleumboden, weiße Wände, Neonlampen: Sebastian Kurz’ Büro strahlt wenig von dem Prunk aus, den man sonst aus Ministerbüros kennt. Man habe Kurz durchaus einen Raum im „imperialen“ Teil des Ministeriums angeboten, sagt sein Pressesprecher, aber er habe sich bewusst für die „Beamtenburg“ entschieden: denn hier, hoch oben über dem Minoritenplatz, arbeite auch die Integrationsabteilung des Innenministeriums.
Bodennah, unprätentiös, einer, dem effiziente Arbeit wichtiger ist als Repräsentation: So versucht sich der Integrationsstaatssekretär zu präsentieren und damit seinem alten Schnöselimage zu entkommen.
Genau ein Jahr ist Sebastian Kurz, 25, nun Teil der Regierung, seit April 2011 gibt es das Integrationsstaatssekretariat. Österreich war reichlich spät dran: In Deutschland gibt es einen vergleichbaren Posten seit 2005, in Dänemark schon seit 2001. NGOs und Migrantenorganisationen hatten auch hierzulande schon lange nach einem Integrationsstaatssekretariat gerufen; als es dann kam, waren sie bitter enttäuscht.
Kein altgedienter Integrationsexperte sollte für die komplizierte Querschnittsmaterie zuständig sein, sondern ein Jungspund, der als Obmann der Jungen ÖVP vor allem mit seinem „Geilomobil“ samt Slogan „Schwarz macht geil“ im Wiener Wahlkampf aufgefallen war und keinerlei Erfahrung im Bereich Integration hatte. Als „Superpraktikant“ wurde Kurz bezeichnet, 27.000 Usern gefiel die Facebook-Gruppe „Ich mach den Integrationsstaatssekretär bei Humboldt“.
Aber nicht nur die Person Kurz sorgte für Unmut; auch dass das Integrationsstaatssekretariat ausgerechnet im Innenministerium angesiedelt wurde, mit dem man gemeinhin Themen wie Sicherheit und Kriminalität verbindet, wurde vielfach kritisiert.
Ein Jahr später ist Sebastian Kurz vom Spottobjekt zum Liebkind der Medien geworden. Ist seine neue Beliebtheit berechtigt? Was hat Kurz wirklich weitergebracht? War die Schaffung des Integrationsstaatssekretariats eine Wende in der österreichischen Fremdenpolitik?
Fest steht: Sebastian Kurz hat seine Sache besser gemacht, als viele vor einem Jahr erwarteten. „Er hat sich gut eingearbeitet und kommt rüber, als ob er was will“, gesteht ihm selbst Cornelia Kogoj, Generalsekretärin der Initiative Minderheiten zu, die seine Bestellung damals noch als „Verhöhnung all unserer Forderungen“ bezeichnete.
Im Falter-Gespräch definiert Kurz seine Rolle als die einer „Plattform für alle im Integrationsbereich Aktiven und Betroffenen“ – und tatsächlich sprechen ihm NGOs und selbst politische Konkurrenten Gesprächswillen und Offenheit für neue Ideen zu.
Kurz versucht, den öffentlichen Diskurs zum Thema Migration zu versachlichen. „Er hat es geschafft, zur Entspannung, zur Enthysterisierung beizutragen“, sagt der Integrationsexperte Kenan Güngör. Erstmals seit Jahren habe die FPÖ die Deutungshoheit über das Thema verloren.
Während andere Minister sich im Möglichst-nicht-Auffallen zu üben scheinen, prescht Kurz beinahe im Wochentakt mit neuen Vorschlägen vor. Der Integrationsstaatssekretär setzt sich für die einfachere Anerkennung ausländischer Qualifikationen und für ein zweites Gratiskindergartenjahr für Kinder mit schlechten Deutschkenntnissen ein, er hat ein „Dialogforum Islam“ ins Leben gerufen, er fördert Kurse und Beratungsstellen.
Hundert erfolgreiche Migranten hat er zu „Integrationsbotschaftern“ ernannt, mit denen er Schulen besucht. Für die sprachliche Frühförderung im Kindergarten konnte er 15 Millionen Euro herausschlagen, das hält Kurz für seine wichtigste Leistung. Bei der Bildung sei bisher „zu viel Geld ins Reparieren geflossen und zu wenig in die Frühförderung“, findet der Integrationsstaatssekretär. Sein jüngstes Projekt: Mitarbeiter mit Migrationshintergrund sollen Familien aus der gleichen Community zu Hause besuchen und sie bei der Förderung ihrer Kinder unterstützen.
Nicht alle Initiativen, mit denen Kurz sich schmückt, sind auf seinem Mist gewachsen. Das Hausbesuchsprojekt etwa wurde in den 1970er-Jahren in Israel erfunden und mittlerweile in verschiedenen Ländern übernommen. Auch in Wien führt ein Verein das Programm schon länger durch. Anerkennung bekommt Kurz für die Übernahme solcher Ideen trotzdem: „Er hat eine gute Hand dafür, sinnvolle Projekte zu erkennen und zu stärken, darüber bin ich froh“, sagt Michael Landau, Direktor der Wiener Caritas.
Aber die Begeisterung für Kurz ist nicht ungetrübt. Er lege zu wenig Gewicht auf Rassismusbekämpfung, heißt es, er mache viel Marketing, gehe große Themen aber nicht an. Auch seine Forderung nach höheren Strafen für Schulpflichtverletzungen kam nicht überall gut an.
Für Kritik sorgt, dass der Staatssekretär sich aus Themen wie Asyl, Zuwanderung und Fremdenrecht völlig heraushält. Seine Arbeit beginne erst, sobald „jemand legal in Österreich ist und mittel- bis langfristig hierbleiben möchte“, sagt Kurz; was zuvor passiert, sei Sache der Innenministerin. Die Zurückhaltung verwundert insofern, als Kurz sonst durchaus in anderen Ressorts wildert: sei es im Unterrichtsministerium, wenn er höhere Strafen für Schulpflichtverletzungen fordert, sei es im Finanzministerium, wenn er die Bürger über die Verwendung von zehn Prozent ihrer Lohnsteuern selbst entscheiden lassen will.
Dass Sebastian Kurz sich nie gegen das Fremdenrecht aussprechen wird, wie Flüchtlingsorganisationen es sich so sehnlich wünschen, liegt nicht nur daran, dass er der Innenministerin nicht dreinreden will. Kurz hat gar kein Problem mit den Fremdengesetzen. Die seit dem Fremdenrechtspaket von 2011 verkürzte Frist fürs Deutschlernen etwa findet er ebenso angemessen wie die Hürden auf dem Weg zur Staatsbürgerschaft: Die sei eben „ein hohes Gut“, wer sie erreichen will, müsse dafür auch etwas leisten.
Leisten, das ist das Lieblingswort der ÖVP und auch das des Integrationsstaatssekretärs. Mit seinem Slogan „Integration durch Leistung“ können aber nicht alle etwas anfangen. „Das heißt, Migranten müssen beweisen, dass sie es wert sind, hier als gleichwertige Menschen leben zu dürfen“, sagt etwa Alexander Pollak von SOS Mitmensch.
Kurz will das nicht so verstanden wissen: „Ich habe einen weiten Leistungsbegriff“, sagt er, es gehe nicht um Höchstleistung, sondern um Anstrengung. Auch Caritas-Direktor Landau mag den Slogan nicht. Um „Integration durch Respekt und gleiche Chancen“ sollte es gehen, findet er.
Nicht nur an der Person Kurz gibt es Kritik. Die Ansiedelung im Innenministerium, wo immer noch eine restriktive Haltung in Migrationsfragen vorherrscht, sorgt heute wie vor einem Jahr für Unmut; ebenso der begrenzte Handlungsspielraum des Staatssekretärs.
Kurz räumt ein, dass er in vielen Bereichen auf die Zusammenarbeit mit den Ministerien angewiesen ist. Die funktioniere aber gut, sagt er, denn alle hätten ein Interesse daran, bei der Integration etwas weiterzubringen. Cornelia Kogoj von der Initiative Minderheiten zweifelt daran: „Wenn man ernsthaft etwas machen will, braucht man ein anderes Ministerium, mehr Kompetenzen und mehr Budget.“
Trotz allem: Seit einem Jahr gibt es hierzulande eine klare Zuständigkeit für das Thema Integration, bei dem früher „organisierte Unverantwortlichkeit“ (Kenan Güngör) herrschte; vor einem Jahr ist die Erkenntnis, dass die Zuwanderer nicht wieder weggehen werden, in Österreich angekommen. Für hiesige Verhältnisse ist das ein Meilenstein.
Falter, 11.4.2012