Beim Eingang der U6-Station Alser Straße stehen eine junge Frau in Jeansjacke und ein Bursche im Kapuzenpulli, sie zittern. Es tröpfelt, auf dem Gürtel brausen die Autos vorbei, die Passanten eilen die Treppen zur U-Bahn hinauf oder hinunter, kaum einer bleibt stehen. Das Schild mit der Aufschrift „Rot-grünes Parkpickerl? Nein danke!“ und dem ÖVP-Logo hat der Wind schon fast auf die Straße geweht, jetzt lehnt es hinter den beiden jungen Leuten am Treppengeländer, den Blicken der Passanten entzogen.
Die beiden kommen von einer Personalvermittlungsfirma. 8,50 Euro pro Stunde bekommen sie dafür, dass sie hier für die ÖVP Wien Unterschriften gegen das Parkpickerl sammeln. „So schlecht wie heute ist es noch nie gelaufen“, sagt der Mann, zum siebten Mal sei er für die ÖVP unterwegs. Sonst komme die Aktion sehr gut an – manche Leute würden zielstrebig an ihnen vorbeigehen, beim Wort „Parkpickerl“ aber extra umdrehen, um zu unterschreiben.
Die Meinung zum Parkpickerl verläuft nicht entlang der Parteigrenzen. „Ich habe immer die ÖVP gewählt“, sagt eine ältere Frau in einer blauen Jacke, aber sie verweigert die Unterschrift: „Ich bin keine Autofahrerin.“ Ein Mädchen mit rosa Strähnen im Haar fragt: „Geht’s da um das Parkpickerl? Dann unterschreibe ich.“ Sie setzt ihren Namen auf die Liste und schwingt sich auf ihr Fahrrad. Auf dem Sattel prangt ein knallgrüner Regenschutz, ein Wahlgeschenk der Grünen.
Eigentlich soll das Parkpickerl den Bewohnern der betroffenen Bezirke auch Vorteile bringen: Ihre Wohngebiete werden für Pendler aus dem Umland unattraktiv, sie selbst sollen leichter Parkplätze finden. Doch das ist bei vielen Wienern nicht angekommen.
Wenn die Wiener heute über das Parkpickerl reden, sprechen sie nicht über Umweltschutz und mehr Lebensqualität. Sie sprechen nicht über den Ärger, der sie packt, wenn sie auf Parkplatzsuche eine halbe Stunde um den Block kreisen. Nein, die Wiener sprechen jetzt übers Geld. Statt „Was bringt’s?“ heißt es „Was kostet’s?“. Das Futter für Boulevardzeitungen. Das Kleinformat hat das Parkpickerl zur Riesengeschichte aufgeblasen. „Für die Stadtregierung ist es ein echtes Defensivthema geworden. Man hat damit die Opposition größer gemacht, als sie ist“, sagt der Kommunikationsberater Thomas Hofer.
Manfred Juraczka lächelt. Im Februar übernahm er einen zerstrittenen Haufen namens ÖVP Wien, vier Monate später scheint er die Landespartei geeint zu haben. „Dass wir so viele Unterschriften gesammelt haben, hat uns als Partei Selbstvertrauen gegeben“, sagt Juraczka.
Der ÖVP-Chef ist gar nicht gegen die Parkraumbewirtschaftung an sich – er will sie nur ein wenig anders organisieren (siehe Kasten). Aber er hat seine Chance genützt und den Streit um das Parkpickerl geschickt mit der aktuellen Debatte um mehr Bürgerbeteiligung verknüpft. Rund 57.000 Stimmen sind nötig, um in Wien eine Volksbefragung zu initiieren. Die ÖVP Wien hat in den vergangenen Wochen mehr als 70.000 gesammelt.
Und sie sammelt weiter. Zwar weiß noch niemand, ob die Volksbefragung durchgeführt werden kann – Verkehrsstadträtin Maria Vassilakou beruft sich auf die Stadtverfassung, der zufolge nicht über Gebühren abgestimmt werden darf. Aber jede weitere Stimme auf der Unterschriftenliste erhöht den Druck auf das rot-grüne Projekt. „Wenn es nicht kommt, stellt sich die Frage der Sinnhaftigkeit der Grünen“, sagt Juraczka, „denen bleibt ja sonst kein Thema übrig.“
Auch der Döblinger Bezirksvorsteher Adolf Tiller, 72, ist für Juraczka Unterschriften sammeln gegangen. Sein Bezirk stimmte gegen das rot-grüne Parkpickerl; Tiller machte einen eigenen Vorschlag zum Thema (siehe Kasten), die Krone titelte „Ja zum Wiener ‚Volks-Pickerl‘“.
Auf Tillers Schreibtisch stehen eine Österreichfahne und mehrere Fußballwimpel. Dahinter hängt ein riesiges Ölgemälde von Josef Strobach, Tillers Urgroßvater und 1896/97 Bürgermeister von Wien. Adolf Tiller ist der am längsten dienende Bezirksvorsteher der Stadt und einer, der es versteht, dem Volk aufs Maul zu schauen. Während die ÖVP Wien seit 1983 von 37 Gemeinderatsmandaten auf 13 gefallen ist, blieb Tiller 33 Jahre lang bei jeder Wahl ungeschlagen – eine Zahl, die er im Gespräch im Fünfminutentakt fallen lässt.
Tiller sucht den direkten Kontakt zu den Bürgern. Dieses Rezept, so scheint es, übernimmt jetzt auch der Wiener Parteiobmann. „Ich bin dankbar und stolz, dass mein Manfred auf dieses System umsteigt“, sagt Tiller. Wenn er die Döblinger Hauptstraße entlangspaziert, grüßt ihn jeder zweite Passant. „Nach 33 Jahren kennt man den Herrn Bezirksvorsteher natürlich“, sagt ein Mann in einer braunen Lederjacke. Hat auch er gegen das Parkpickerl unterschrieben? „Nein, von mir aus kann das kommen“, sagt der Mann. Tiller verzieht leicht das Gesicht. Das rot-grüne Konzept sei „sachlich nicht durchdacht und nicht mit den Bezirken abgestimmt“.
Maria Vassilakou versteckt sich im Gegensatz zu vielen SPÖ-Politikern nicht hinter einer Mauer des Schweigens. Der Vorwurf des Drüberfahrens sei nur „die übliche Polemik“, sagt die grüne Vizebürgermeisterin und Verkehrsstadträtin. Die Bezirke seien ausreichend informiert gewesen, sagt sie, die Gegenvorschläge der anderen Parteien seien „alles von verfassungswidrig bis schwachsinnig“, die Wiener ÖVP mache „mit Positionen der 60er-Jahre Politik“.
Indirekten Zuspruch bekam Vassilakou vor kurzem von unerwarteter Seite: Die Oberbürgermeisterin von Frankfurt, Petra Roth (CDU), war in der ÖVP-Akademie zu Gast und fragte, wem denn das „Kasperltheater“ mit der Volksbefragung eingefallen sei.
Wie aber will Vassilakou jene Wiener, die das Parkpickerl ablehnen, für sich gewinnen? „Es wird viel Information geben, dadurch wird sich ein Großteil der Befürchtungen in Luft auflösen“, sagt sie. „Wir sind aber auch bereit, unser Vorhaben nachzujustieren.“ Nicht infrage kommt für Vassilakou allerdings eine Verschiebung des Projekts: Dafür sei die Parkplatznot zu groß, und man sei schon mitten in den Vorbereitungen.
Nach außen hin hält die rot-grüne Regierung eisern zusammen. Aber das Parkpickerl ist eine Belastungsprobe. „Es ist unser kompliziertestes und politisch schwierigstes Projekt“, sagt Maria Vassilakou.
Denn innerhalb der SPÖ, die sich mit der FPÖ um die Stimmen der „kleinen Leute“ in den neuen Parkpickerlbezirken matcht, regt sich schon seit längerem leiser Widerstand. Der eingangs erwähnte Karlheinz Hora etwa, Verkehrssprecher der SPÖ Wien, deutete Ende Mai an, dass die Stadtregierung der Opposition mit einer eigenen Volksbefragung zuvorkommen könnte. Bürgermeister Michael Häupl richtete ihm daraufhin in einer Pressekonferenz aus: „Für die SPÖ spreche allemal noch ich.“
Der wirkliche Widerstand aber kommt von der Basis. Susanne Haase bekommt ihn jeden Tag zu spüren. Die Bezirksgeschäftsführerin der SPÖ Ottakring bekommt Anrufe von Bürgern, die auf sie und ihre Partei böse sind. Gern würde Haase mit ihnen über die Ottakringer Straße reden, die gerade umgebaut wird. Oder über die Bürgerwerkstätten, in denen sich die Leute einbringen können. Über die Dinge, die Bezirkspolitik eben ausmachen. Aber die Ottakringer interessieren sich derzeit nur für eines. „Es tut mir leid, dass so viel vom Parkpickerl übertüncht wird“, sagt Haase.
Die Gespräche dauern oft eine halbe Stunde. Sie versucht dann, für das Parkpickerl zu werben. Die Emotion herauszunehmen, über die Sache zu sprechen. Am Ende, sagt Haase, komme man meist auf einen Nenner. „Aber bei 30 Minuten pro Bürger wird es bei 100.000 Ottakringern ein bissl schwierig.“
Dabei sei die Lage wirklich problematisch. In Gürtelnähe, wo sie wohne, sei die Parkplatzsuche eine Katastrophe. Niemand, der sie besuche, komme mit dem Auto, „da kann man sich das Auto auf den Buckel schnallen“. Seit auf den Windschutzscheiben der Innenbezirkbewohner das Parkpickerl klebt, stellen Pendler ihre Autos in Ottakring ab. Jedes dritte Auto hat dort kein Wiener Kennzeichen.
Ottakring ist zweigeteilt. Unten im Tal, wo die sozial Schwächeren wohnen, parken die Autos Stoßstange an Stoßstange. Oben am Wilhelminenberg, wo die schönen Häuser stehen, wohnt Astrid Buk und sagt: „Mein Auto steht immer vor meiner Haustür. Ich hab nie ein Problem.“ Warum die Kurzparkzone auch im weniger dicht verbauten Gebiet gelten wird, versteht Buk nicht. Sie glaubt nicht, dass sich die Parkplatznot auf ihr Wohngebiet verlagern könnte, wenn man nur im Tal zahlen müsste. Für Pendler sei die öffentliche Anbindung dort zu schlecht ausgebaut.
Bei der Bezirksvertretungswahl vor zwei Jahren verlor Buk, Ottakringer ÖVP-Bezirkschefin, vier Prozent. Heute sagt sie, auch in Gürtelnähe seien viele gegen das Parkpickerl. Nun sammelt sie mit ihrem Team Unterschriften, oben am Berg, vorm Ottakringer Freibad. Von der Frau, die nicht will, dass ihr Sohn zahlen muss, wenn er sie auf Kaffee und Kuchen besuchen kommt. Vom 72-jährigen Spaziergänger, einem überzeugten Sozialdemokraten: „Warum soll ich zahlen? Nur dass der Häupl mehr Geld kriegt?“ Eine junge Frau wünscht Buk im Vorbeigehen alles Gute: „Hoffentlich geht’s durch. Das wär sonst der absolute Super-GAU.“
Das Parkpickerl gibt nicht nur der ÖVP Auftrieb, es eint die blau-schwarze Opposition. Vergangene Woche traf sich Juraczka mit dem Wiener FPÖ-Klubchef Johann Gudenus, gemeinsam kämpfen sie gegen Rot-Grün. Die Freiheitlichen haben eine Gratisbroschüre mit Unterschriftenliste verschickt, sie geht an 1,2 Millionen Wiener. „Dieses Aufbegehren gegen die Parkometergebühr steht pars pro toto für die Belastungs- und Raubritterpolitik von Rot und Grün“, sagt Gudenus. „Diese unsoziale Politik treibt die Menschen in die Armut. Und Vassilakou, die Stadträtin für Bürgerbeteiligung, hat mit Bürgerbeteiligung nichts am Hut.“
Es sind Sätze wie diese, die die rot-grüne Koalition ins Mark treffen. Die unsoziale Sozialdemokratie. Die basisdemokratischen Grünen als Drüberfahrer-Partei. Die Glaubwürdigkeit beider Parteien steht auf dem Spiel. Und die Wiener Stadtregierung wäre nicht die erste, die über einen kleinen lokalen Konflikt stolpert. In Hamburg ordnete eine progressive Schulreform die Machtverhältnisse neu, in Stuttgart ein Bahnhof.
Wenn die Wiener Regierung strauchelt, ist das nicht nur auf kommunalpolitischer Ebene relevant. Denn viele Rote und Grüne träumen davon, auch auf Bundesebene eine Regierung zu bilden. Ein Scheitern in Wien könnte auch dieses Projekt vereiteln.