Nach 45 Jahren wird der Rennbahn-Express eingestellt. Die Medienkrise trifft Teeniemagazine noch stärker als andere Zeitschriften. Ein Nachruf
Die „Bravo Hits“ gibt es heute auch auf iTunes, und die Heftbeilage ist keine Halskette, sondern ein Handyanhänger. Sonst hat sich wenig verändert: Klatsch und Tratsch über Stars, Kleidungstipps, Sexratschläge, Poster und eine Fotolovestory prägen das Teeniemagazin Bravo heute wie vor vielen Jahren.
Der größte Unterschied zwischen einem Bravo-Heft des 20. Jahrhunderts und einem von 2013 ist die Leserzahl. Von 1978 bis 1998 kaufte über eine Million Jugendliche regelmäßig das Bravo, im Jahr 1991 war mit durchschnittlich 1,49 Millionen verkauften Exemplaren der Höhepunkt erreicht. Heute wollen nur noch 246.000 Teenager die Tipps der Sexberater vom Dr.-Sommer-Team lesen und mit den Protagonisten der Fotolovestorys mitfiebern – das ist nur mehr ein Sechstel.
Nicht nur das Bravo schwächelt: Popcorn hat in den vergangenen 15 Jahren 68 Prozent seiner Leser verloren, Mädchen 72 Prozent, Bravo Girl 85 Prozent. Für das österreichische Pendant zu Bravo, den Xpress – früher Rennbahn-Express – gibt es keine gesicherten Zahlen. Aber der News Verlag, der das Heft herausgibt, nennt für 2012 eine Druckauflage von 80.000, für 2013 nur noch eine von 60.000 Stück. Es ist also anzunehmen, dass der Xpress ebenso dramatisch Leser verloren hat wie die deutschen Magazine. Im Mai verkündete der News Verlag nun nach 45 Jahren die Einstellung der Zeitschrift. Die aktuelle Ausgabe mit den Titelgeschichten „Ke$ha’s Crazy Life“, „Die Zukunft der Miley Cyrus“ und „Songraub! So tickt das Musikbiz“ ist die letzte, in Zukunft wird es den Xpress nur noch online geben.
Der Xpress ist nicht die erste Zeitschrift, deren Printausgabe eingestellt wird – seit Anfang des Jahres erscheint etwa das amerikanische Nachrichtenmagazin Newsweek nur noch online. Doch Special-Interest-Magazine, die auf ganz spezifische Lesergruppen abzielen, gelten als jene Medien, die am besten durch die Krise kommen. Nur die Teeniemagazine scheinen da eine Ausnahme zu bilden.
Dass junge Menschen heute weniger lesen als früher, ist ein Grund für die Medienkrise. Die Teeniemagazine trifft das noch stärker als andere Zeitschriften: Ihre Zielgruppe ist die erste Generation, die sich nicht mehr an eine Zeit ohne Internet erinnern kann. Die heute 13-Jährigen hätten mit Facebook, Twitter und SchülerVZ lesen lernen können, auch Youtube existierte schon, als sie in die Volksschule kamen.
„Mit der Verlagerung unserer Aktivitäten vom Print-Xpress auf die digitale Plattform xpress.at tragen wir dem geänderten Mediennutzungsverhalten unserer jüngsten Zielgruppe Rechnung“, begründete Herausgeber Axel Bogocz die Einstellung des Magazins: „Österreichs Jugendliche sind heute mobiler denn je – immer dabei sind Smartphone, iPad oder Laptop. Das sind die Plattformen, auf denen sie zukünftig Xpress digital begegnen werden.“ Aber wollen die Teenies das überhaupt?
„Figur-Fight! Krasser Body-Neid in Hollywood! So kämpfen die Stars um die beste Bikini-Figur“ können sie im aktuellen Bravo lesen. „Sexy Beach-Wear für Girls & Boys“. „Test: Wo triffst du deinen Sommer-Flirt?“. „Fotolovestory: Ein Kickflip in die Liebe“. „Madonnas Tochter Lourdes: Sex-Verbot von Mama! Macht ihr Freund jetzt Schluss?“. Ein knallbuntes, kleinteiliges Layout, viele Fotos – gern mit Pfeilen versehen -, viele Rufzeichen, eine Jugendsprache voll englischer Einsprengsel. Promis werden mit Vornamen vorgestellt, ihre Probleme mit denen der Leser verglichen:
„‚Ey, was willst du nur von dem? Entweder er oder ich!‘ Sätze, die du garantiert NIEMALS von deiner besten Freundin über deinen Freund hören willst. Denn wenn die BFF (Best Friend Forever, Anm.) deinen Schatz doof findet – das ist echt ’ne Kack-Situation. Und genau in der steckt gerade Selena Gomez! Seit sechs Wochen ist die 20-Jährige wieder mit Super-Sänger Justin Bieber zusammen. Doch ein Girl scheint von diesem Liebes-Comeback richtig angepisst zu sein: Sels BFF Taylor Swift!“
Die Jugendlichen haben nicht nur das Interesse an Gedrucktem, sondern auch an solchen Geschichten verloren. Die Teenies seien nicht einfach von Print- auf Onlinemagazine umgestiegen, auf bravo.de oder xpress.at, sondern auf ganz andere Kanäle, sagt der Lehrer und Buchautor Nikolaus Glattauer: „Meine Schüler sind bei jeder Gelegenheit auf Facebook, der Rennbahn-Express ist für sie kein Thema.“ Bei der Media-Analyse 2012 gaben 80 Prozent der 14- bis 19-Jährigen an, Chats und Foren zu nützen, zwei Drittel sehen sich Videoclips an und die Hälfte lädt eigene Texte oder Fotos hoch – jeweils der höchste Wert unter allen Altersgruppen. Hingegen lesen nur 34 Prozent aktuelle Nachrichten online, und nur 28 Prozent greifen auf Zeitungs- oder Zeitschrifteninhalte zu – deutlich weniger als in der Altersgruppe zwischen 20 und 49.
Facebook, Twitter, Youtube und Youporn übernehmen die Funktionen, die früher Bravo oder Rennbahn-Express erfüllten. Um Neuigkeiten über Stars und Sternchen zu erfahren, brauchen Jugendliche heute keine Zeitschriften mehr: Sie können direkt mit ihnen kommunizieren. Die auf dem letzten Xpress-Cover abgebildete Miley Cyrus hat auf Twitter zwölf Millionen Follower und auf Facebook 26 Millionen Likes, Teenieschwarm Justin Bieber kommt auf 40 Millionen Twitter- und 54 Millionen Facebook-Fans.
Und die Aufklärung? Millionen Teenies haben dank Dr. Sommer gelernt, dass man vom Küssen nicht schwanger wird, und heimlich vor dem Badezimmerspiegel ihren Körper mit dem der Nackten im Bravo verglichen. Heutige Jugendliche schauen stattdessen Youporn-Videos oder lesen japanische Manga-Comics, sagt Nikolaus Glattauer.
Die Doppelseiten mit den beiden per Selbstauslöser fotografierten Nackten – pro Ausgabe ein Mädchen und ein Bursche –, 16 Jahre lang eines der Markenzeichen von Bravo, sind Mitte 2011 verschwunden. Warum, das kann oder will Torsten Schulz, Sprecher des Bravo-Verlages Bauer Media, nicht verraten. Die Vermutung liegt nahe, dass heutige Teenager auf die Seiten nicht mehr angewiesen sind: Während früher viele Leser hier zum ersten Mal nackte Menschen sahen, sind heutige Teenies mit nackten Körpern vertraut.
(Anmerkung: Einige Zeit nach Erscheinen dieses Textes fiel mir eine zweite mögliche Erklärung für die Abschaffung der Nackten ein: Früher landeten die Fotos nach einer Woche im Altpapier und wurden vergessen. Möglicherweise ist inzwischen das Risiko zu groß geworden, dass die Nacktfotos der heute 16-Jährigen für immer im Internet kursieren).
Auch den Reiz des Verbotenen haben Bravo und Rennbahn-Express verloren: Während sich in den 1970er- oder 1980er-Jahren geborene frühere Leser erinnern, dass Pfarrer und Lehrer ihnen das Heft abnahmen oder die Eltern die Seite mit den Nackten herausrissen, würden sich manche heutige Eltern und Lehrer freuen, wenn sie ihre Kinder in ein Bravo vertieft fänden: „Meine Schüler lesen überhaupt nichts“, sagt Nikolaus Glattauer.
Dabei haben sich die Teeniehefte über die Jahre hinweg bemüht, ihre Leser nicht zu überfordern und sich der sinkenden Aufmerksamkeitsspanne anzupassen. Das Layout wurde bunter und kleinteiliger, die Covers überladener. Der Rennbahn-Express, 1968 vom heutigen Österreich-Herausgeber Wolfgang Fellner, seinem Bruder und einem Schulkollegen als Schülerzeitung gegründet, berichtete in seinen Anfangsjahren nicht nur über die Bee Gees, Rainhard Fendrich oder die Stones, sondern auch über Nazi-Prozesse, Zwentendorf, den Sturz des Schahs, den Tod Rudi Dutschkes und den Bürgerkrieg in Nicaragua. Im Laufe der Jahre verschwanden die politischen Berichte, dafür tauchten Fotolovestorys, Sexberatung, Liebeshoroskope und sogar Partnervermittlungsseiten („Top-Singles zum Verlieben – mit Gratis-Flirt-Kupon“) auf.
Wie schlecht es um die Branche wirklich bestellt ist, lässt sich an der Reaktion der Verlage auf Interviewanfragen ablesen. Beim Xpress hat niemand Zeit für ein Interview, sowohl Chefredakteurin Anna Wagner als auch Herausgeber Axel Bogocz seien verreist. Und Bauer-Media-Sprecher Schulz lehnt die Bitte nach einem Gespräch mit Bravo-Chefredakteurin Nadine Nordmann oder der Geschäftsführung ab: Man gebe derzeit aus strategischen Gründen keine Interviews zur Lage von Bravo.
Falter, 12.6.2013