„Was ist schon ein Rebell?“

Ab Herbst werden mehr Abgeordnete unter 30 im Nationalrat sitzen als je zuvor. Wer sind die Newcomer?

Er schreibt Mails, die mit „Wow cool :)“ beginnen. Er duzt fast jeden, dem er begegnet. Er geht an heißen Sommertagen in kurzen Hosen, T-Shirt und Converse zu Diskussionen, bei denen die Uniform der anderen Männer aus Jeans und hochgekrempelten Hemden besteht. Und wenn er über die hohe Politik spricht, entkommt ihm manchmal ein kurzes, lautloses Lachen – ganz so, als ob er selbst noch über seine neue Rolle staunen würde. Ab Herbst wird Julian Schmid, 24, wohl für die Grünen im Nationalrat sitzen, als einer der jüngsten Abgeordneten in der Geschichte.

Und er wird eine Menge Kollegen in seinem Alter haben. Bis zu zehn Abgeordnete unter 30 könnten im Herbst ins Parlament einziehen, mehr als je zuvor. Der bisherige Rekord lag bei fünf Jungabgeordneten, bis 1983 gab es nie mehr als einen einzigen. Derzeit sind es zwei, die 26-jährige Eva-Maria Himmelbauer (ÖVP) und der 29-jährige Mathias Venier (FPÖ).

Warum setzen die Parteien gerade jetzt so viele Junge auf wählbare Listenplätze? Hört man sich unter ehemaligen, derzeitigen und zukünftigen Nationalräten um, bekommt man vor allem zwei Erklärungsversuche: die Politikverdrossenheit und Sebastian Kurz. Letzterer habe mit seiner Performance als Integrationsstaatssekretär etwas ins Rollen gebracht, habe bewiesen, dass es sich auszahlt, junge Menschen ans Ruder zu lassen. Und Erstere habe die Parteien dazu genötigt, mehr frischen Wind zuzulassen – oder das zumindest nach außen hin zu suggerieren. „Dass jetzt besonders viele Junge reinkommen, ist ein neuer Gag der Parteien, um sich als jung zu verkaufen“, sagt etwa Sigrid Maurer. „Inhaltlich ist wenig dahinter, Sebastian Kurz ist nichts anderes als ein riesengroßes Placebo.“

Asdin El Habbassi, Daniela Holzinger, Julian Schmid (Fotos: Hans Hochstöger)
Asdin El Habbassi, Daniela Holzinger, Julian Schmid (Fotos: Hans Hochstöger)

Maurer kandidiert auf Platz sechs der grünen Bundesliste, zwei Plätze vor Julian Schmid. Vor vier Jahren waren die beiden schon einmal gemeinsam im Falter, bei einem Streitgespräch zu „Unibrennt“: Maurer als Chefin der Österreichischen Hochschülerschaft, Schmid als Audimax-Besetzer der ersten Stunde. Die beiden haben einen ähnlichen Zugang zur Politik – radikal idealistisch, ohne Scheu vor großen Worten. „Armut ist kein Zufall, sondern eine Systemkomponente“, sagt sie. „Was ist die Zukunft unserer Wirtschaft? Wollen wir Machtkonzentration und Konzerne, die Menschen und Umwelt voll ausbeuten, oder wollen wir regional und bio und verteilte Macht?“, fragt er. Ihre Einstellungen zu ihrem zukünftigen Job hingegen unterscheiden sich. „Ich bin nicht neu im ganzen Business und fühle mich gut vorbereitet, ich erstarre nicht in Ehrfurcht“, sagt Maurer, während Schmid eingesteht: „Ich hab ziemlichen Respekt vor dem Parlament. Einmal denk ich mir, ich kann das, und dann wieder frag ich mich, ist das nicht doch zu arg?“

„Einen gewissen Respekt“ vor der neuen Aufgabe hat auch Wolfgang Moitzi, Chef der Sozialistischen Jugend: „Man kann ja nicht sagen, ich geh da rein und kann alles.“ An einem Nachmittag im Juni steht Moitzi in Jeans und T-Shirt, mit Festivalarmband am Handgelenk und Sonnenbrille am Kragen im Nieselregen vor der SJ-Bühne am Donauinselfest. Er musste sich dort blicken lassen, aber man merkt ihm an, dass das riesige Freiluftevent nicht sein Biotop ist. „Als Bürgermeister würde ich mich nicht eignen, ich bin kein Bierzeltpolitiker“, sagt er und verzieht das Gesicht ob des zu süßen Dosenkaffees und der zu metalllastigen Musik. Ein Grillplatzpolitiker eher: Auf seiner Website, auf der auch seine Steuererklärungen nachzulesen sind, bietet er an, Interessierte zum Grillen und „entspannt Politisieren“ zu besuchen – „Bier und ein paar Würstel nehm natürlich ich mit :)“.

Im Parlament will Moitzi dazu beitragen, die SPÖ wieder weiter nach links zu steuern, zurück zu ihren Wurzeln, weg vom Neoliberalismus und dem „dritten Weg“. Dieses Ziel teilt seine potenzielle Nationalratskollegin Daniela Holzinger, Gemeinderätin in Oberösterreich: Sie will für einen gesetzlichen Mindestlohn kämpfen, für eine Millionärssteuer, einen niedrigeren Einkommenssteuersatz und eine flachere Progression; Konzernen würde sie durchaus einmal mit Verstaatlichung drohen. „Politik soll von unten nach oben passieren“, sagt sie, während sie vom Gewerkschaftsfußballturnier zum Attac-„Sozialwendfeuer“ eilt.

Auch Asdin El Habbassi legt viel Wert auf Basisarbeit. Der Obmann der Salzburger Jungen ÖVP, der schon in seiner Uni-Zeit eine studentische Unternehmensberatung gegründet hat, ist einer von drei schwarzen Nationalratskandidaten unter 30. Medial wurde seine Nominierung vor allem mit dem erstaunten Ausruf „Ein Muslim in der ÖVP!“ abgehandelt: El Habbassi betet fünfmal täglich, trinkt keinen Alkohol, fastet im Ramadan – und er engagiert sich in einem Salzburger Traditionsverein, schätzt „die christlich-sozialen Werte“ der ÖVP und würde ohne Weiteres mit der FPÖ koalieren.

Lukas Schnitzer, Sigrid Maurer, Wolfgang Moitzi (Fotos: Hans Hochstöger)
Lukas Schnitzer, Sigrid Maurer, Wolfgang Moitzi (Fotos: Hans Hochstöger)

Neben El Habbassi und dem JVP-Chef und Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz, 26, – der wohl nach der Wahl eher auf der Regierungsbank als im Plenum Platz nehmen wird – hat auch der steirische JVP-Obmann Lukas Schnitzer einen wählbaren Listenplatz. Er ist der Einzige der jungen Kandidaten, der politisch einen ganz anderen Weg eingeschlagen hat als seine Eltern: Der Vater kandidierte erfolglos für die Grünen, der Sohn ging aufs Militärgymnasium Wiener Neustadt und wurde dort – unter lauter Freiheitlichen, wie er sagt – zum ÖVP-Anhänger. Das Parlament kennt Schnitzer schon, er war anderthalb Jahre lang parlamentarischer Mitarbeiter des heutigen Staatssekretärs Reinhold Lopatka, der wie er Mitglied der „Katholisch-österreichischen Studentenverbindung Festenburg“ ist.

Im Herbst im Nationalrat sitzen wird wohl auch die Basketball-Nationalspielerin Petra Steger, 25, Tochter des ehemaligen FP-Vizekanzlers Norbert Steger, Vizepräsidentin der Christlich-Freiheitlichen Plattform und Moderatorin von FPÖ TV. Und wenn er Glück hat, schafft es auch der erst 20-jährige Maximilian Krauss ins Parlament, der Obmann des Wiener Rings Freiheitlicher Jugend, der in Aussendungen fordert, „Zuwanderer mit ‚türkischem Blut‘ in ihre Heimat zurückzuschicken“ und „Kinderschänder chemisch zu kastrieren“, der „es nicht nötig hat, in kulturloser Art und Weise amerikanische Restaurants zu bewerben“ und der in Facebook-Umfragen als die „schönste Flagge“ „Österreich – Deutschland“ nennt. Gerade im Urlaub, konnte keiner von beiden mit dem Falter sprechen.

Was haben sie nun gemein, diese Menschen, die sich kurz nach – oder sogar noch vor – ihrem Uni-Abschluss für fünf Jahre der Politik verpflichten? Zu einem Zeitpunkt, an dem ihre Freunde Auslandspraktika oder die große Studienabschlussreise machen oder ihre ersten regulären Jobs antreten? Einig sind sich die Kandidaten in ihrer Kritik am politischen Stil und der Diskussionskultur im Lande. „Die Menschen verstehen nicht, dass sich die Leute im Parlament oft gegenseitig beflegeln und anschreien“, sagt etwa Asdin El Habbassi. „So weit bin ich Idealist, dass ich sage, man muss versuchen, es anders zu machen.“

Dazu passt es, dass sämtliche Newcomer sich als Fans Alexander Van der Bellens deklarieren. Van der Bellen, von 1997 bis 2008 Chef der Grünen, scheint mit seiner ruhigen, überlegten und selbstironischen Art die kommende Politikergeneration ebenso stark geprägt zu haben, wie es die Wende zu Schwarz-Blau im Jahr 2000 tat.

Zur Kritik am politischen Stil gehört für die Jungen auch die am Konzept des Parteirebellen. „Junge Leute in der Politik werden immer danach gefragt“, sagt Schmid, „aber was ist schon ein Rebell? Für mich sind die Grünen die Rebellen gegenüber der alteingesessenen Politik.“ Wenn ihn etwas störe, spreche er es intern an, sagt er. El Habbassi sieht das ähnlich. „Ich bringe Kritik in einem ordentlichen Ton rüber und in einem Rahmen, wo man in Ruhe darüber sprechen kann“, erklärt er.

Aber wie viel Kritik wird im Nationalrat überhaupt möglich sein? Wer jung und ohne viel Berufserfahrung ins Parlament einzieht, müsse aufpassen, dass ihn das System nicht verschluckt, sagen die, die es wissen müssen – etwa Othmar Karas, heute Vizepräsident des Europaparlaments, der 1983 mit 25 Jahren der bis dahin jüngste Nationalratsabgeordnete war. Sein Rat an die Kollegen: „Passt auf, dass ihr nicht dem Reiz des Mandats erliegt. Eure Identität darf nie nur aus der Funktion bestehen.“

Die Parlamentsnewcomer sind da zuversichtlich. Sie würden es schon schaffen, sich ihre Unabhängigkeit zu bewahren, sagen sie einstimmig. „Ich will meine Meinung nicht am Parlamentstor abgeben und sagen, okay, jetzt bin ich Abstimmungsmaschinerie“, formuliert es Moitzi. Sie wollen ein zweites Standbein haben, wollen nie dem Wohlwollen der Partei ausgeliefert sein, wollen sich nach ein oder zwei, maximal drei Perioden wieder vom Nationalrat verabschieden. „In meinem Alter sind die fünf Jahre, die ich jetzt planen muss, schon krass genug“, sagt Schmid.

Falter, 17.7.2013

Die Kurzinterviews mit den Newcomern können Sie hier nachlesen.

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