Gezerre ohne Grenzen

Sofia, Oliver, Christian – die Namen dieser Kinder stehen für eskalierten Sorgerechtsstreit zwischen binationalen Elternpaaren. Sind die Gesetze untauglich?

Sofia bleibt in Österreich – zumindest vorläufig. Nach einem jahrelangen Sorgerechtsstreit und wochenlanger medialer Empörung über die geplante „Abschiebung“ der Sechsjährigen ist vergangene Woche für einige Zeit Ruhe eingekehrt.

Medial präsent war der „Fall Sofia“ seit dem Juni, als ein italienisches Gericht Sofias Mutter Doris Povse wegen Kindesentführung zu 15 Monaten Haft verurteilte. Povse hatte Sofia im Jahr 2008 von Italien zurück nach Österreich gebracht, nachdem sie sich vom – angeblich gewalttätigen – italienischen Vater des Mädchens getrennt hatte. Mehrere Gerichte ordneten an, dass Sofia nach Italien zurückkehren müsse, doch bevor der Gerichtsvollzieher das Mädchen abholen konnte, tauchten Mutter und Kind unter.

Erst nachdem letzte Woche ein Gericht Sofias Rückkehr nach Italien aufschob, kam die Familie wieder nach Österreich. Da hatte das Thema schon wochenlang die Titelseiten des Boulevards beherrscht, Justizministerin Beatrix Karl (ÖVP) hatte sich auf Aufforderung von Povses Anwältin zu Wort gemeldet und Frank Stronach hatte die Familie medien- und wahlkampfwirksam mit seinem Privatflugzeug nach Österreich zurückbringen lassen.

Es war nicht das erste Mal, dass ein eskalierter internationaler Sorgerechtsstreit die Öffentlichkeit bewegte. Erst im Juni hat ein Grazer Gericht einen Dänen wegen schwerer Nötigung und Kindesentziehung zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt, nachdem er seinen damals fünfjährigen Sohn Oliver nach Dänemark entführt hatte. Zuvor war die österreichische Mutter gegen seinen Willen mit Oliver von Dänemark nach Österreich gezogen; ein dänisches Gericht sprach dem Vater, ein österreichisches der Mutter das Sorgerecht zu.

Und Anfang 2004 riefen Bilder des achtjährigen Christian Empörung hervor: Sie zeigten, wie Gerichtsvollzieher den verängstigten, weinenden Buben in ihr Auto zu zerren versuchten. Christian wohnte damals bei seinem Vater in Salzburg, doch ein Gericht hatte der in Schweden lebenden Mutter das Sorgerecht zugesprochen. Mehrere Medien wurden später gerichtlich verurteilt, weil sie durch die Veröffentlichung der Bilder die Privatsphäre des Buben verletzt hätten.

Scheidungs- und Trennungsfälle über Staatsgrenzen hinweg seien immer besonders schwierig, weil keine Kompromisse möglich seien, sagt die Vorsitzende der Familienrichter in der österreichischen Richtervereinigung, Doris Täubel-Weinreich: „Ein ausgiebiges Besuchsrecht ist da nicht durchführbar – wir müssen entscheiden, welchen Elternteil ein Kind verliert.“ Und weil verschiedene Länder die Obsorge unterschiedlich regeln, kann es einen großen Unterschied machen, vor welchem Gericht die Eltern um ihr Kind kämpfen.

Das „Haager Übereinkommen über die zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung“ (HKÜ) aus dem Jahr 1980 und die „Brüssel IIa-Verordnung“ von 2003 regeln, dass in solchen Fällen das Gericht jenes Landes über das Sorgerecht entscheidet, in dem das Kind vor der Trennung gelebt hat. Bringt ein Elternteil das Kind gegen den Willen des anderen und ohne Erlaubnis des Gerichts in ein anderes Land, wie das Sofias Mutter tat, gilt das als Kindesentführung. Für das Sorgerechtsverfahren bleibt das Land zuständig, in dem das Kind zuvor gelebt hat – in Sofias Fall Italien.

Genaue Statistiken gibt es nicht, aber Robert Fucik, Leiter der Abteilung für Internationales Familienrecht im Justizministerium, schätzt, dass es jedes Jahr etwa 50 solcher Fälle gibt. „Die meisten Fälle lösen sich schnell auf“, sagt Fucik, „nur eine Minderheit entwickelt sich so furchtbar wie bei Sofia oder Oliver.“ Die Zahl der Fälle ist in den letzten Jahren gestiegen; unklar ist aber, wie stark.

Was läuft da falsch mit den internationalen Abkommen? Könnte eine Gesetzesänderung solche Fälle verhindern? Das Problem sei „unlösbar“, sagt Doris Täubel-Weinreich, „die Rechtsvorschriften kann man gar nicht wirklich kritisieren.“ „Die Regelung ist nicht grundsätzlich falsch“, sagt auch die Wiener Kinder- und Jugendanwältin Monika Pinterits, „aber es ist wichtig, das Verfahren immer wieder mit dem Kindeswohl rückzukoppeln.“ Im Fall Sofia habe man das Kindeswohl aus den Augen verloren.

Beim Entwurf des HKÜ dachte man vor allem an Elternteile, die „das Faustrecht ausüben, weil sie vor den Gerichten keine Chance hätten“, sagt Robert Fucik. Inzwischen seien jedoch etwa zwei von drei „Entführern“ Mütter, die bereits den Großteil der Erziehung übernommen hätten und dann ihren Wohnort wechseln möchten. Meist handle es sich um Frauen, die mit ihrem Partner in dessen Heimatland gezogen seien, nach der Trennung dort aber keine Zukunft mehr für sich sähen.

Wie Täubel-Weinreich findet auch Fucik das HKÜ trotzdem sinnvoll. Das eigentliche Problem ist beiden zufolge, dass viele Mütter – vor allem unverheiratete – die Situation falsch einschätzen. Die Vorstellung „Ein Kind gehört zu seiner Mutter“ sitzt tief, und nach österreichischer Rechtslage haben unverheiratete Mütter tatsächlich das alleinige Sorgerecht, wenn die Eltern nicht aktiv eine gemeinsame Obsorge vereinbaren. In manchen Ländern habe der Vater aber automatisch ein Mitspracherecht, sagt Täubel-Weinreich; viele Frauen wüssten nicht, dass sie sich daher strafbar machen, wenn sie das Kind ohne das Okay des Vaters oder des Gerichts aus dem Land bringen. Und: „Aus Unwissen stellen sie sich dem Verfahren dort oft nicht – das Verfahren geht dann meistens für den Elternteil aus, der vor Ort ist und dem Gericht seine Sicht schildern kann.“

So oder so ähnlich dürfte es auch im „Fall Sofia“ gewesen sein. „Ich hab nie ein schlechtes Gewissen gehabt, dass ich mit der Flucht vielleicht einen Fehler mache oder Sofia in etwas reinreite“, sagte die Mutter am Sonntag in Österreich. Das österreichische Gericht hat Sofias Rückführung nach Italien nun vorläufig ausgesetzt, das italienische prüft die Obsorgeentscheidung noch einmal. Und Povse hofft, dass es nun doch ihr das Sorgerecht zusprechen wird – schließlich ist seit der Entführung so viel Zeit vergangen, dass Sofia mittlerweile den Großteil ihres Lebens bei ihr in Österreich verbracht hat.

Falter, 21.8.2013

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