Ohnmächtige Sieger, glückliche Verlierer

Das Ergebnis der österreichischen Parlamentswahlen ist voller Paradoxien. Das Land hat die Euro-Krise gut gemeistert, doch Rot-Schwarz hat nur eine hauchdünne Mehrheit.

Alles neu und doch alles beim Alten: Das ist das Ergebnis der österreichischen Parlamentswahlen am Sonntag. Die Regierungsparteien fuhren ihre schlechtesten Ergebnisse aller Zeiten ein, zwei neue Parteien wurden ins Parlament hinein-, eine hinausgewählt – und doch werden die Österreicher wohl auch für die nächsten fünf Jahre jene Große Koalition behalten, von der sie schon 41 der letzten 68 Jahre regiert wurden.

Die sozialdemokratische SPÖ und die konservative ÖVP konnten ihre Positionen als stärkste und zweitstärkste Partei halten, beide verloren aber zum wiederholten Mal Stimmen. Im Jahr 2002 holten sie gemeinsam noch vier von fünf Wählerstimmen, nun ist es nur noch eine hauchdünne Mehrheit von knapp 51 Prozent (26,8 Prozent SPÖ, 24 Prozent ÖVP; Anm.: Ich verwende hier die Zahlen nach Auszählung der Briefwahlstimmen. Im Originaltext sind noch die Zahlen des vorläufigen Endergebnisses zu finden). Anders als Angela Merkel in Deutschland konnten weder Kanzler Werner Faymann (SPÖ) noch Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) davon profitieren, dass ihr Land gut durch die Krise gekommen ist. Die Politikverdrossenheit in Österreich ist groß, es dominiert der Eindruck, dass das Land trotz und nicht wegen seiner Regierung gut dasteht.

Denn mit Rot-Schwarz verbinden die Österreicher vor allem Stillstand und gegenseitige Blockaden. Auch waren in den letzten Jahren alle etablierten Parteien bis auf die Grünen mehr oder weniger tief in Korruptionsskandale verwickelt, und so hört man in Österreich derzeit häufig den Satz „Die Politiker sind eh alle gleich“. Diese Stimmung äußert sich auch im neuen Negativrekord von 75 Prozent bei der Wahlbeteiligung.

Der traurigste Gewinner der Wahl sind wieder einmal die Grünen: Sie haben wie bei den meisten Wahlen der letzten zwanzig Jahre auch diesmal dazugewonnen, sind aber weit unter ihren Erwartungen geblieben. Mit Slogans wie „100% bio, 0% korrupt“ und „Saubere Umwelt, saubere Politik“ hatten sie sich erfolgreich als die einzige nicht korrupte Partei positioniert, die Umfragen hatten Ihnen bis zu 16 Prozent prognostiziert. Geworden sind es 12,4 Prozent, mit der angestrebten Regierungsbeteiligung wird es wieder nichts.

Das Grünen-Ergebnis ist aber ebenso wie das der rechtspopulistischen FPÖ eine erwartbare Überraschung. Denn dass die Grünen in Wahlen schlechter, die FPÖ besser abschneidet als in den Umfragen, hat in Österreich Tradition. Die FPÖ hat es auf 20,5 Prozent geschafft. Dass die größten Korruptionsfälle der letzten Zeit während ihrer Regierungsbeteiligung (2000-2005) ihren Anfang nahmen, ist demnach bereits in Vergessenheit geraten. Im Wahlkampf hatte die FPÖ ihre Ausländerfeindlichkeit in kuschelige Formulierungen gekleidet: „Liebe deine Nächsten – für mich sind das unsere Österreicher“, stand auf den Plakaten, die Wahlkampftour des Parteichefs trug den Titel „Nächstenliebe-Tour“.

Ihr Wahlergebnis verdankt die FPÖ aber vor allem dem Aus für das BZÖ und der Schwäche des Team Stronach – zwei Parteien, die von ehemaligen FPÖ-Funktionären getragen werden. Mit dem BZÖ hatte Jörg Haider sich 2005 von der FPÖ abgespalten, eineinhalb Jahre lang war es Regierungspartei, doch nach Haiders Tod im Jahr 2008 ging es rasant bergab. Nun hat das BZÖ die Vierprozenthürde für den Einzug ins Parlament knapp verpasst.

Der 81-jährige austrokanadische Milliardär Frank Stronach wiederum, der für sein vor einem Jahr gegründetes Team Stronach fünf Parlamentsabgeordnete des BZÖ abgeworben und in diversen Bundesländern etwa zehn Prozent der Stimmen bekommen hatte, muss sich national mit 5,7 Prozent zufriedengeben. Stronach hatte mit seinen Tiraden gegen „die da oben“ – die EU, die etablierten Parteien, die Sozialpartner, die Verwaltung – Unzufriedene vor allem aus dem FPÖ- und dem Nichtwählerlager begeistert. Seine skurrilen TV-Auftritte dürften zuletzt aber viele wieder abgeschreckt haben.

Dass die Rechtsparteien FPÖ und BZÖ und das populistische und antieuropäische – aber nicht ausländerfeindliche – Team Stronach zusammen fast 30 Prozent der Stimmen bekommen haben, überrascht nur bedingt. Denn in Österreich gibt es seit eh und je ein großes Potential Unzufriedener, die auf populistische Parolen anspringen und wenig Scheu vor dem rechten Rand haben: Im Jahr 1999 etwa war die FPÖ mit 27 Prozent der Stimmen knapp die zweitstärkste Partei.

Sieger des Wahlabends neben der FPÖ sind die knallpinken Neos, die mit fünf Prozent der Stimmen nur ein Jahr nach ihrer Parteigründung ins Parlament einziehen können. Sie sprachen mit ihrer Kombination aus Wirtschafts- und Gesellschaftsliberalismus vor allem jüngere, gebildete Wähler und Selbständige an, denen die ÖVP zu konservativ und intransparent, die Grünen aber zu wenig wirtschaftsfokussiert sind.

Wie die Grünen werden aber auch die Neos ihr Ziel, mitzuregieren, nicht erreichen. Die einzige rechnerisch und inhaltlich realistische Alternative zur erneuten Großen Koalition ist nun eine Regierung aus ÖVP, FPÖ und Team Stronach. Sie hätte nach derzeitigem Stand 99 (Anm.: Nach Auszählung der Briefwahlstimmen waren es nur noch 98) von 183 Mandaten, genauso viele wie die Große Koalition.

ÖVP-Chef Michael Spindelegger, derzeit Vizekanzler und Außenminister, hat im Wahlkampf keinen Zweifel daran gelassen, dass er das „Vize“ vor seinem Titel gerne loswerden würde; die ÖVP plakatierte sein Gesicht zu Slogans wie „Kanzler für die Optimisten“ oder „Kanzler für die Weltoffenen“. Auch hat die ÖVP sich – im Gegensatz zu SPÖ, Grünen und Neos – die Möglichkeit einer Koalition mit der FPÖ dezidiert offengehalten. Mit dem Team Stronach regiert sie bereits im Bundesland Salzburg, es hat sich als bequemer Partner erwiesen. Das größte inhaltliche Hindernis für eine solche Koalition dürfte die Europapolitik sein: Die ÖVP ist europafreundlich, FPÖ und Team Stronach hingegen setzen auf Anti-EU-Rhetorik. Auch ist unklar, ob FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, der selbst den Kanzleranspruch gestellt hat, sich mit dem Vizekanzlerjob zufrieden geben würde.

Aber immerhin hat Spindelegger im Gegensatz zu Kanzler Faymann überhaupt eine zweite Option neben Rot-Schwarz. Es ist davon auszugehen, dass er dies in den Verhandlungen ausspielen wird, um der SPÖ das Zugeständnisse abzuringen – und so vom Wahlverlierer doch noch zu einer Art von Gewinner zu werden.

Zeit Online, 30.9.2013

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