Vor genau einem Jahr sind die Neos in den Nationalrat eingezogen, jetzt haben sie es in den Vorarlberger Landtag geschafft. Wie geht es den Pinken?
Fast auf den Tag genau ein Jahr ist es her, dass in Wien-Neubau der Boden bebte. Das erste Mal seit 30 Jahren hatte eine neue Partei aus dem Stand den Einzug in den Nationalrat geschafft. Als Parteichef Matthias Strolz am Abend des 29. September 2013 mit hochgerissenen Armen in die Parteizentrale einzog, wurde gekreischt, geweint und so heftig gehüpft, dass alles wackelte.
Es war der Höhepunkt des Hypes um die Neos. Sie würden die österreichische Politik auf den Kopf stellen, hieß es damals.
Als die Vorarlberger Parteichefin und Spitzenkandidatin Sabine Scheffknecht am Abend des 21. September 2014 mit einem leicht verkrampften Lächeln bei ihrer Wahlparty ankam, wurde freundlich applaudiert.
Die Neos hatten es auf Anhieb in den Landtag geschafft, waren aber mit 6,9 Prozent unter den Erwartungen geblieben – bei den Nationalratswahlen hatten sie in der pinken Hochburg Vorarlberg noch 13,1 Prozent geholt, bei den EU-Wahlen 14,9 Prozent. Der Hype ist vorbei, die Neos sind in der politischen Realität angekommen.
In die Euphorie hat sich Ernüchterung gemischt. Mehr als 200 Anträge habe man im Parlament eingebracht, sagt Parteichef Strolz, alle seien „entweder abgeschmettert oder zu Tode vertagt“ worden. „In der Theorie wusste ich das“, sagt Strolz, „aber wenn du es in der Praxis erlebst, ist es schon frustrierend.“
Das Langfristziel, den Tonfall in der Politik zu verändern, haben die Neos noch nicht erreicht, stattdessen selbst zwei von 16 Ordnungsrufen des letzten Jahres kassiert. Auch ihr Anspruch, ganz ohne Klubzwang das freie Mandat zu leben, wurde von der Realität eingeholt. „Es ist ja logisch, dass ich nicht zu allem eine Meinung haben kann und dass dann oft der gesamte Klub gleich abstimmt“, sagte Nikolaus Scherak, Abgeordneter und Jugendchef der Neos, in einem Falter–Gespräch: „Auch bei den Neos sind, soweit ich mich erinnere, nur bei drei Abstimmungen Leute ausgeschert.“
Und wie sieht es inhaltlich aus? Fragt man Parteichef Strolz oder seine Stellvertreterin Beate Meinl-Reisinger heute nach den wichtigsten Themen und den größten Erfolgen der Neos, fällt ihnen als Erstes die Reform der Untersuchungsausschüsse ein, die auch einen U-Ausschuss zur Hypo Alpe Adria ermöglichen wird. „Ohne uns wäre das wahrscheinlich nicht zustande gekommen“, sagt Strolz. Auch auf die Beschneidung der Luxuspensionen ist er stolz und darauf, dass die Neos eine Debatte über die Schulautonomie in Gang gesetzt hätten.
Viele Menschen jedoch denken beim Stichwort „Neos“ an keines dieser Themen, sondern an die Wasserprivatisierung. Von einer solchen Forderung ist im Programm der Neos zwar nichts zu lesen (von der Privatisierung von „öffentlichen Anteilen in Wettbewerbsbranchen wie Energie, Telekom und Schienenverkehr“ sehr wohl), aber egal, wie oft die Neos erklären, es handle sich um ein Missverständnis, man habe ihnen die Worte im Mund verdreht: Das Etikett der Wasserprivatisierer werden sie nicht los.
Das war bei Angelika Mlinar im EU-Wahlkampf zu sehen, bei Beate Meinl-Reisinger in Wien und bei Sabine Scheffknecht in Vorarlberg. Scheffknecht wurde noch dazu verdächtigt, auch die landeseigenen Illwerke privatisieren zu wollen.
Neben dem Privatisierungsthema gibt es noch eine Reihe anderer Gründe für das mäßige Abschneiden.
Da war die politisch unerfahrene Spitzenkandidatin, die trotz Coachings steif und unsicher wirkte und eine Abschaffung oder tiefgreifende Reform der Wohnbauförderung forderte, ohne sagen zu können, wie diese aussehen sollte – eine Steilvorlage für die politische Konkurrenz. Bei einer Diskussion im Regionalfernsehen assistierten die anderen Spitzenkandidaten einander bei diesem Thema gegenseitig mit süffisantem Grinsen und gönnerhaftem Tonfall beim Auseinandernehmen der Neos-Frau.
Da waren die Vorwürfe, die Scheffknechts im Streit geschiedener Vorgänger Chris Alge öffentlich erhob: Scheffknecht habe die internen Vorwahlen manipuliert, Stimmen gekauft. Das seien „offensichtliche Unwahrheiten“, konterten die Neos.
Und da war nicht zuletzt die Strategie von FPÖ und Grünen, die Wahl als Richtungswahl zwischen Schwarz-Blau und Schwarz-Grün zu deklarieren. Denn eine schwarz-pinke Koalition stand, obwohl die ÖVP mit den Neos am meisten inhaltliche Gemeinsamkeiten hat, in Vorarlberg nie ernsthaft zur Diskussion.
Was bleibt den Neos für das nächste Jahr, für die nächsten Landtagswahlen? Eine Erkenntnis: Die Attribute „neu“ und „frisch“ reichen für den Parlamentseinzug, für mehr braucht es gute, inhaltlich fitte Spitzenkandidatinnen. Ein Triumph: Eine Partei, die noch vor einem Jahr niemand ernst nehmen wollte, hat es bei drei Wahlen in Folge gemütlich in ein Parlament geschafft. Eine von den Grünen geerbte, undankbare Rolle: der Umfragenkaiser, dem jedes „nur“ gute Wahlergebnis als Niederlage ausgelegt wird. Und natürlich das leidige Wasser.
Falter, 24.9.2014