Ungarns Jugendliche sind deprimiert. Die meisten werden am Sonntag nicht zur Wahl gehen. Sie stimmen lieber mit den Füßen ab – und wandern aus
Bericht: Ruth Eisenreich, Elisabeth Gamperl
„Vaterlandsverräter“, sagte die Tante zu Sebastian. Sie saßen am Esstisch, eine Familienfeier, gerade hatte der blonde Skandinavistik-Student mit der eckigen Brille von seinen Zukunftsplänen erzählt. Er wolle nach Dänemark gehen, wo seine Freundin schon lebte, sagte der 19-Jährige. Der erhoffte Zuspruch seiner Verwandten blieb aus. „Du wirst es dort so gut haben, dass du nie wieder in deine süße Heimat Ungarn zurückkehrst“, sagte die Tante. Wenn sich Sebastian, Sohn eines Deutschen und einer Ungarin, daran zurückerinnert, beginnt er wild zu gestikulieren, seine Stimme wird energischer. „Was soll ich denn tun? In Ungarn fehlt die Perspektive.“
Es ist ein Satz, den so oder ähnlich sehr viele junge Ungarn sagen. Sie sind frustriert und verärgert, so wie viele junge Menschen auf der ganzen Welt, aber so etwas wie ein „Occupy Budapest“ oder ein „Ungarischer Frühling“ ist weit und breit nicht in Sicht. Denn die Resignation der hiesigen Jugend, das Gefühl, sowieso nichts ändern zu können, geht tiefer. Ihre Ratlosigkeit ist so groß, dass ihr echter Protest nicht in den Sinn kommt. Weiterlesen »
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